Das Leben kann hart sein. Wirklich hart. Kaum hatte ich meine neue Praxis eingerichtet, wenige Schritte vom Montmartre entfernt, stand die Polizei im Haus – mit einem Haftbefehl. Es hat mich einiges an Überzeugungskraft gekostet, den Jungs klarzumachen, dass meine Patientinnenliste oberste Priorität hat, viel höhere Priorität, als Dr. Jeanrenaud, den Lieblingsarzt von so vielen Pariserinnen, einfach so einzubuchten. Allerdings wogen die Vorwürfe, die ich ja gar nicht alle abstreite, schwer. So schwer, dass auch mein Anwalt seufzend die Schultern hängen liess. „Mit fünf Jahren musst Du schon rechnen“, sagte er mir und wagte mich dabei kaum anzublicken. Fünf Jahre Knast. Ich kann mit Vielem leben, und ich war ja schon mehrmals inhaftiert. Aber das Schlimmste für mich: Fünf absolut frauenlose Jahre, es sei denn, Mirabelle, meine neue Geliebte, würde mich ab und zu besuchen. Mirabelle habe ich auf dem gynäkologischen Stuhl kennengelernt, also dort, wo ich die meisten Frauen in meinem Leben kennengelernt habe. Gerade hatte ich die Beinauflage zum neuen Gynäkologiestuhl installiert, die mit der angenehmen Halbschalenform – als Mirabelle das Wartezimmer betrat, wie mir meine Praxisassistentin schmallippig signalisierte. Mirabelle. Schon nur der Name liess mich träumen. Mirabelles Mirabellen. Ja, klar. Ich würde auch ihre Brüste untersuchen müssen. Routine in meiner Praxis halt.
Was man mir vorwarf: Dass ich bei der einen oder andern Frau zu weit gegangen sei. Viel zu weit. Sex unter Hypnose. Leider hatte sich das herumgesprochen, und die Menschen waren unterschiedlicher Haltung. Es gab Frauen, die machte der Gedanke an, und sie haben sich bei mir zur Hypnose gemeldet. Andere wiederum witterten Missbrauch, und, klar, in unserer woken Gesellschaft werde ich eine neue Rhetorik finden müssen – ich hatte nun fünf Jahre Zeit, um darüber nachzudenken.
Stieftöchterchens Vulva
Der Therapeut
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