Streicheleinheiten

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Streicheleinheiten

Streicheleinheiten

Anita Isiris

Der Kulturschock sass Stina tief in den Knochen. Kuta hatte sich seit dem Anschlag vom Oktober 2002 gewaltig verändert. Stina mochte die Balinesen, hatte auf früheren Reisen viel Schönes und Angenehmes erlebt. Diesmal war sie aber beinahe die einzige weisse Touristin. Schon im Flugzeug hatte sie sich sorgfältig zurecht gemacht, wohl wissend, dass ein gepflegtes Äusseres sie vor allzu deutlicher Zudringlichkeit schützte. Ihr dichtes schwarzes Haar kämmte sie nach hinten und versah es mit ein paar bunten Spangen, dann trug sie farblosen Lippenstift auf und rückte ihre Halskette zurecht. Stina war eine stolze Frau, keine von diesen Schlampen jedenfalls, die in Indonesien bloss das schnelle Abenteuer suchten, das sie zuhause in Deutschland oder der Schweiz nicht bekamen. Stina verachtete solche Frauen zutiefst und war der Ansicht, dass sie Wesentliches dazu beitrugen, Vorurteile zu zementieren und bestehende Kulturen zu unterwandern. Sie war Sekretärin in einem Lebensmittelkonzern, allein stehend und ziemlich vermögend. Meist reiste sie mit Freundinnen. Diesmal jedoch war ihr das Schicksal beschieden, allein in den Urlaub zu reisen – Susanne, Kleo und Britta waren mit ihren Partnern unterwegs. Ob das wohl leichtsinnig war, allein nach Bali zu reisen? Vorsichtshalber trug Stina einen Ring. Wenn jemand sie ansprach, würde sie immer sagen können, ihr Mann komme demnächst, oder, noch besser, er sei vor wenigen Wochen tödlich verunfallt. Das wurde respektiert. Frauen, die einfach Spass hatten am Reisen, keine enge Familienbindung besassen und schon gar nicht einer Religion verfallen waren, existierten in der Gedankenwelt der vorwiegend hinduistischen Bevölkerung nicht. Bereits am Flughafen wurde Stina zum ersten Mal gefordert. Ein dienstfertiger Mann entriss ihr den kleinen Handkoffer, um ihn vor ihr her zum Taxi zu tragen – gegen ein paar Rupien, versteht sich. Das Taxi sprang nicht an.

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