Sie muss schlucken, mit offenem Mund atmen, und immer ist er irgendwo hinter ihr.
Unsichtbar, unfühlbar. Bis gnädig eine Welle über sie schwappt, glänzendes Strandgut aus versunkenen Zeiten anschwemmt.
- Weißt du, wie lange du schon da liegst? fragt die Stimme irgendwann. Hände entfernen ihren Knebel.
Wie zart es sich anfühlt, die Sprache wieder zu finden. Rein perlen die Laute aus ihren Stimmbändern. Hauchen, auf Nachdruck verzichten, auf jegliche Illusion von Stärke.
-Eine halbe Stunde? fragt sie.
-Richtig.
Er bindet sie los.
-Kriech aufs Bett.
Er lehnt sich an die Wand, setzt eine Brille auf, durch die er unverwandt auf den Bildschirm starrt. Er hat einen Film eingelegt und den Fernseher lauter gestellt.
Wie schön er geworden ist. Ein junger, zarter Mann, ruhig, rein, intelligent.
Sie schaut zu ihm auf.
- Geh auf deinen Platz, sagt er. - Zu meinen Füssen.
Sie rutscht an das Gitter des Bettes. Sie spürt die zarte Haut seiner Füße neben sich. Draußen kann sie am Haus gegenüber ein Fenster erkennen. Es ist offen. Von dort kann jeder sie sehen, sich an ihrer Demütigung ergötzen.
Er steht auf. Sie hört metallisches Klappern. Er nimmt ihre Handgelenke, fesselt sie ans Gitterbett. Eine Hand nach links, eine Hand nach rechts.
Sie kann den Film nicht mehr verfolgen, nur noch die Stimmen hören. Und sein Gesicht mit dem unverwandten Blick, der über sie hinweg geht, betrachten.
- Es gibt verschiedene Arten von Sklavinnen, sagt er. - Du bist eine Hündin.
Die niedrigste von allen.
Sie spürt den Satz wie einen Stromstoß.
Da ist die U-Bahn. Sie ist blau und weiß und grün. Hinterlässt bei ihrer Abfahrt einen Silberstreif. Der Bahnsteig liegt in zarten Staub getaucht.
Seine Partikel tanzen im Neonlicht. Eine weiche Decke hat sich auf die Haut gelegt. Jeder Schritt ist ein Tanz in Wolken. Die Augendeckel klappen langsam, so dass mit jedem Mal unter ihnen die halbe Welt versinkt. Das Gehen
besteht nicht aus Schritten. Sondern aus wattigem Wabern.
Sättigung. Nicht des Magens und nicht des Geschlechts. Sättigung des tiefstinnerlichsten Organs. Noch innerlich der Gebärmutter, des Darms, des Innengewebes des Innenseins.
Gebettet auf Zuckerzeug, auf Watte, jedes Blutkörperchen spürbar, wie es durch Hautmuskeladern saust.
Sie schwebt nach Hause, eingehüllt in Ei-Haut.
Doch schon am nächsten Tag ist die U-Bahn wieder zum grauen Drachen geworden, der ratternd die Menschen verschlingt.
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