Sünde - Der Versuch einer Befreiung - Teil 4

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Sünde - Der Versuch einer Befreiung - Teil 4

Sünde - Der Versuch einer Befreiung - Teil 4

Michael Müller


"Darf ich mir diese Zeitung nehmen?" fragte er.
"Ja."
"Ich heiße Ulrich," stellte er sich vor.
Die Frau blickte auf.
"Lernen sie damit zu leben," antwortete sie kühl.
Ulrich war durch ihre abweisende Antwort verunsichert, trotzdem wagte er zu fragen:
"Wie heißen sie?"
Er bekam keine Antwort, ja sie unterbrach nicht einmal ihr lesen in der Zeitung.
Ulrich bemerkte, dass einer der Kellner auf den Tisch zu kam.
"Darf ich mich zu ihnen setzen?" frug Ulrich schnell.
"Haben sie einen Wunsch?" hörte er den Kellner neben sich fragen.
"Nein, danke Walter," sagte die Frau zum Kellner "und dieser Herr" sie zeigte dabei auf Ulrich, "dieser Herr Ulrich wollte sich nur eine Zeitung von meinem Tisch holen," nun sah sie Ulrich an und wiederholte: "Sie wollten sich nur eine Zeitung holen, sonst nichts."
Ulrich nickte bejahend, nahm die Zeitung, bedankte sich und ging an seinen Tisch zurück.
Ohne auf den Inhalt zu achten, auch nur ein Wort der Überschriften zu lesen, begann er darin zu blättern.
>Alle Gäste starren mich an!< dacht er dabei >Mich starren sie an und diese Nutte, die sicher mit dem Kellner vögelt, die beachtet niemand, die bleibt von Blicken verschont! Sie muss mit dem Kellner vögeln! Warum hätte der sonst unser Kennenlernen verhindert.<
Ulrichs Hände zitterten. Wut über diese Erniedrigung stieg in im hoch, wurde immer stärker. Er zahlte seinen Kaffee und ging heim.
In der Nacht konnte er kaum zur Ruhe kommen. Warum, so frug er, war es ihm nicht möglich eine Frau zu finden? Wieso waren alle Frauen die er bisher traf, nicht bereit ihr Leben mit ihm zu teilen? Was mache er falsch? Hin und wieder weinte er in dieser Nacht sogar. Alle dieser Episode folgenden Versuche Ulrichs, Freundschaft mit einer Frau zu schließen blieben erfolglos. Um seine Mutter zufrieden zu stellen, erfand er eine Frau, um deren Hand er sehr bald, vielleicht noch vor Weihnachten!, anhalten wolle. Ulrichs Mutter war überglücklich.
Kurz vor Weihnachten, das drängen auf einen Verlobungstermin wurde immer intensiver, erfand er die Geschichte, diese Frau, seine zukünftige Braut, sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.
Ulrichs Mutter war tief bestürzt.
"Arme Frau und erst ihre Eltern, die Armen, so etwas Schreckliches! Und noch dazu so knapp vor Weihnachten!" heulte sie. Zwei Stunden später war Mutter aber doch wieder froh, dass Ulrich nicht schon mit der Toten verlobt war. Die Eltern der Braut hätten zu guter Letzt Ulrich auffordern können, sich als Bräutigam an den Begräbniskosten zu beteiligen.
Weihnachten verlief harmonisch, Silvester ruhig. In der Silvesternacht stießen Mutter und Sohn punkt Mitternacht mit einem Glas Sekt an, lauschten den Klängen des Donauwalzers und gingen danach zu Bett. Der Neujahrstag fand Mutter und Sohn via Fernsehapparat am Neujahrskonzert teilnehmend, einträchtig Seite an Seite sitzend.
Das neue Jahr und auch das diesem nachfolgende führten Ulrich nicht zum erfolgreichen Abschluss seiner Brautfindung. Die Jahre waren durchsetzt mit gescheiterten Versuchen und der Beendigung mehrer Beziehungen. Als Beziehungen bezeichnete Ulrich jene Treffen die mindestens zweimal mit der selben Frau stattfanden. Der Faschingsdienstag jenes Jahres, in dem Ulrich seinen achtunddreißigsten Geburtstag feiern würde, gestaltete sich aber unterschiedlich und war der Beginn einer Reihe neuer Erfahrungen.

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