Ausgerechnet ein ergrauter Mann, der ihr Vater sein könnte, wenngleich ein jugendlicher Typ, ging ihr seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Dass sie ihn am nächsten und übernächsten Tag nicht mehr ausmachen konnte im Getümmel, ließ ihr Interesse nicht erlahmen, im Gegenteil. Es wuchs sich zur fixen Idee aus, ihn wiederzufinden, einfach nur zu wissen, er ist noch da.
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Endlich war es so weit, am anderen Ende des Bahnsteigs erkannte sie ihn. Sie lief so weit sie konnte, und sprang noch in den letzten möglichen Waggon, den hinter seinem. Außer Atem schüttelte sie den Kopf über sich selbst. Wie ein verliebter Teenager benahm sie sich, sie eine erwachsene, gutaussehende Frau, die allen schon ein wenig abgeklärt erschien. Derlei ziellose Schwärmerei für gänzlich Unbekannte hatte man in ihrer Jugend ganz zu Recht als anspinnen bezeichnet.
Nur konnte sie einfach nicht zurück, auch wenn sie nicht wusste, was sie eigentlich wollte.
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Nun würde er aussteigen, wie immer, das war zwei U-Bahn-Stationen vor ihrer. Ohne zu zögern oder nachzudenken, verließ sie im letzten Moment ihr Abteil und folgte ihm die Treppe hinauf, wo er sich in die Bushaltestelle begab. Gelangweilt blickte er auf die Uhr, dann um sich - und bemerkte er sie.
Stumm sahen sie sich in die Augen, direkt, unvermittelt, tief.
Sie hätte nach dieser Schrecksekunde, in der das Interesse offenkundig wird, so tun können, als wäre der Augen-Blick ein Zufall, dem keinerlei Bedeutung zukommt, wie es so oft geschieht, wiewohl beide wissen, dass dem nicht so ist. Aus welchen Gründen auch immer jedoch beschränkt man sich auf sich selbst und beide gehen ihrer Wege, sinnieren vielleicht noch ein wenig über die Möglichkeiten und verpassten Chancen, und vergisst irgendwann den für einen Moment tief begehrten Menschen - oder lässt ihn, sie zum Herzstück lustvoller Phantasien werden. Was wäre nur, wenn er, sie je davon erführen würde?
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