Tamara hüstelte verlegen. «Luc ist mein Freund», sagte sie. «Er liebt mich», schluchzte sie. «Aber er bekommt keinen hoch, egal, wie nackt ich bin.» Tamara sagte das sanft, ohne auch nur den leisesten Hauch eines Vorwurfs in der Stimme. Luc senkte den Blick. «Das kommt oft vor», beschwichtigte ich. «Die Ursachen sind meist multifaktoriell.» Eigentlich hasse ich Fremdwörter. Aber Begriffe wie «multifaktoriell» katapultieren mich jedes Mal endgültig in die Sphäre des Akademikers, der ich letztendlich auch bin.
Die Abendsonne verschwand hinter dem diagonal gegenüberliegenden Centre Pompidou, automatisch legte sich ein gedimmtes Licht über uns. Die beiden verrieten mir, dass sie sich seit einem halben Jahr kannten, das erste Treffen hatte im Quartier Latin stattgefunden, also dort, wo ich meine Valérie zum ersten Mal getroffen hatte. Wer sich im Quartier Latin oder am Mont Martre nicht verliebt, und sei es in eine Strassenlaterne, muss frigide sein. Erst vor drei Wochen waren sie zusammengezogen, die Tamara und der Luc, und während beide geglaubt hatten, Lucs anfänglich ausbleibende Erektion hätte etwas mit Aufregung und Nervosität zu tun, scheiterten sie nun an der Realität im neu gekauften Wasserbett. Egal, wie Tamara sich drehte und wand, egal, wie oft sie vor Lucs Augen masturbierte, egal, wie oft er ihr beim Duschen zuschauen durfte: Sein Schwanz blieb schlapp.
«Wir haben gehört, dass Sie Paaren helfen», führte Luc das Gespräch fort. «Ich gebe Ihnen freie Hand. Machen Sie, was nötig ist, aber tun Sie es, tun Sie es für Tamara und mich, tun Sie es für die Liebe. In meinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Ich war ja kein Androloge und hätte korrekterweise einen Blick auf Lucs Schwanz werfen und eine neurologische sowie eine neuro- und eine sexualpsychologische Untersuchung anordnen müssen. Aber ich sah nur noch rotes Haar, Morgenröte, Morgendämmerung. «Wir wechseln den Raum», sagte ich, vor Lust bereits fast von Sinnen. Nun ist es so, dass ich Paare selten im Unteruchungszimmer behandle. Es gibt sie zwar, die Fetischisten, die ihrer Frau zusehen wollen, wie sich auf dem Gynäkologischen Stuhl installiert. Aber Luc war von ganz anderer Natur. Der Nebenraum wurde von meiner Assistentin immer liebevoll geschmückt, mit frischen Korn- und Sonnenblumen, mit einer frisch gewaschenen Decke über der Couch, die mit den Sesselüberzügen farblich perfekt korrespondierte. Auch hier fiel gedimmtes Licht auf uns; es war angenehm warm.
Tamara wird begehrt
Die Memoiren des Dr. Jeanrenaud
7 8-13 Minuten 0 Kommentare

Tamara wird begehrt
Zugriffe gesamt: 875
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.