Tamara wird begehrt

Die Memoiren des Dr. Jeanrenaud

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Tamara wird begehrt

Tamara wird begehrt

Anita Isiris

Noch immer befinde ich mich, nach dem Tod durch die Giftspritze in einem Pariser Gefängnis, in einer Zwischenwelt zwischen Himmel und Hölle. Aber ich spüre, dass ich hier nicht mehr lange verweilen werde, und mir ist bewusst, dass meine Kommunikation mit Euch Leserinnen und Lesern abbrechen wird, sobald ich entweder in den Himmel oder in die Hölle gezerrt werde. Komme ich in den Himmel, hoffe ich, John Lennon zu begegnen. Bestimmt verweilt der dort. Komme ich in die Hölle, würde ich gerne Adolf Hitler, Benjamin Nethanjahu, Josef Stalin und Slobodan Milosevic zu einem Bierchen einladen, um herauszufinden, wer von den vier eigentlich der Böseste war. Bisher steht im Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett nur einer von den vieren hinter schusssicherem Panzerglas. Möglicherweise ist es der Falsche, und möglicherweise würden Personen wie Benjamin Nethanjahu gar nicht erst ausgestellt.
Also kommen wir zu meiner letzten Passion, zu meiner letzten Episode, die ich mit Euch teile. Dabei geht es um die Schönheit rothaariger Frauen. Ich muss gestehen, dass ich mir bereits als kleiner Junge eine rothaarige Freundin gewünscht habe. In Paris sind sie allerdings seltener als grüne Sandkörner. Mein Begehren nach rotem Haar, blasser Haut und kecken Sommersprossen steigerte sich im Lauf meines Lebens ins Unermessliche, und in neuerer Zeit habe ich mir im Internet auf einschlägigen Seiten Linderung verschafft. Heute sind rothaarige Frauen kein Mysterium mehr, sondern sie sind einsehbar, bis hin zu den hellen zartrosa Nippeln und bis hin zur Vulva der Rothaarigen, die auch geschmacklich zu den unerreichten Delikatessen gehört.
Nun könnte man sich denken, dass ich als Frauenarzt den richtigen Beruf gewählt habe, um die körperlichen Geheimnisse rothaariger Frauen zu erkunden, aber leider weit gefehlt. Rothaarige haben meine Praxis so selten aufgesucht, dass ich mich des Verdachts nicht erwehren konnte, dass sie Dr. Jeanrenaud ganz bewusst gemieden haben, warumauchimmer.
Dann war da der Tag, kurz vor meiner Verhaftung, der mir für immer in Erinnerung bleiben wird, nicht zuletzt auch deswegen, weil mein Herz beinahe seinen Dienst versagt hat. Im Wartebereich saß ein nicht angemeldetes Paar, und kaum trat ich in Erscheinung, erhoben sich beide respektvoll und reichten mir die Hand. Sie stellte sich als Tamara vor, er als Luc. Und was für eine Tamara das war! Sie trug ein lindgrünes, knöchellanges Sommerkleid mit einer Reihe von Knöpfen an der Vorderseite, und ihre Augen hatten einen nicht definierbaren grün-blau-Ton. Ihr Haar fiel ihr in langen Locken über die Schultern, die, genau wie Tamaras Nase, mit Sommersprossen übersät waren. Luc, ihr Typ, war auch nicht von schlechten Eltern mit seinem schwarz gelockten Haar unter der Baskenmütze, und ich konnte mir sofort vorstellen, wie er an und in Tamara zugange war. «Können wir reden?», begann Tamara das Gespräch. Es war Abend, meine letzte Patientin hatte ich soeben verabschiedet. Routineuntersuchung, Verschreibung der Minipille.

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