Tango vor dem Zapfenstreich

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Tango vor dem Zapfenstreich

Tango vor dem Zapfenstreich

Yupag Chinasky

Bis kurz vor Mittag normaler Dienst, der übliche, öde Scheiß. Dann Kantinenfraß und von zwölf bis eins Putz- und Flickstunde, danach Inspektion. Der UvD und ein Hiwi machen die Runde durch die Zimmer. „Das soll aufgeräumt sein? Sie haben wohl eine Meise! Hemden und Unterwäsche im selben Fach, wie Kraut und Rüben. Schon mal was von Ordnung gehört? Und das hier? Was haben wir denn hier?“ Ein lederbehandschuhter Finger fährt über eine imaginären Staubansammlung. Der Besitzer des Fingers muss sich verrenken, um überhaupt in die entfernte Ecke zu gelangen. Er hebt den grauen Lederfinger langsam, bedeutungsschwanger hoch, bis er vor seinem Mund angekommen ist und pustet kräftig. „Sehen Sie mich noch? Ihr Schrank ist der größte Saustall seit Adam und Eva. Nachappell um vier.“ Um vier ist der Bus weg, keine Chance mehr nach hause zu kommen, das Wochenende ist versaut. Die Kumpel trösten: „Ist doch alles nur Schikane. Heute hat es dich erwischt, nächste Woche ist ein anderer dran.“ Ab sechs duscht der Pulk der zum bleiben Verdammten. Lange, ausführlich, beim Klang der neuartigen Beatlessongs im Transistorradio, mit lautem Geschimpfe über den Bund, über die Arschlöcher von Ausbildern, über die ganze verdammte Wehrpflicht.

Punkt acht Uhr schmettern die Colibiris ihre Erkennungsmelodie und säuseln den Begrüßungstext ins Mikrofon. Dann Foxtrott und Chachacha. Die ersten Blauen stürmen auf die Mädchen zu, die säuberlich getrennt und aufgereiht an der anderen Seite des Saals sitzen. „Darf ich Sie um diesen Tanz bitten?“ Man ist höflich, bei der Aufforderung zum Tanz und am Anfang per Sie. Aufseufzen, entweder vor Glück – was für ein toller Typ – oder vor Pein - muss das Arschloch ausgerechnet zu mir kommen. Die Säufer sind schon beim dritten Bier. Sie interessieren sich nicht für Colibiris, nicht für Chachacha, nicht für junges, warmes, aufgeregtes Fleisch, sondern nur dafür, wie man es schafft, möglichst schnell, möglichst billig und möglichst synchron, sturzbesoffen zu werden.

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Gedichte auf den Leib geschrieben