Tango vor dem Zapfenstreich

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Tango vor dem Zapfenstreich

Tango vor dem Zapfenstreich

Yupag Chinasky

Als sei jemand hinter ihr her, ein Lüstling, ein Wüstling, zumindest ein Verführer. Sie dreht sich nicht einmal mehr um. Er ärgert sich. „Hätte sie wenigstens fragen sollen, wie sie heißt.“

Jetzt ist ein Mann mehr an der Bierfront. Schlachtgesänge, Pöbeleien, Raufereien. Es geht auf halb elf zu. Um Mitternacht ist Zapfenstreich. Wer zu spät kommt hat Probleme, ernsthafte. Er ist dabei den Frust der Abfuhr, der verpassten Gelegenheit, so es denn überhaupt eine war, zu ertränken. Sehr zügig, sehr effizient. Bier, Schnaps, Bier, Schnaps, Bier, Schnaps. Bald kann er nicht mehr stehen, geschweige denn gehen, kaum noch sitzen. Geilheit, Wollust, Sehnsucht, Liebeshunger, Enttäuschung alles, alles wird ertränkt und in Promille umgewandelt. Zum Glück sind die Kameraden da, als die Colibirs um halb zwölf die letzte Runde beendet haben. Sie heben ihn hoch, zwei halten ihn, legen seine Arme um ihre Schultern. Das Trio setzt sich langsam in Bewegung. Seine Flüsse schleifen über das Pflaster. Die Augen sind wie bei einem Debilen nur halb geöffnet, der Blick verliert sich irgendwo im Ungewissen. „Geht schon. Ich kann ... doch, allein ... geehenn, lasssst mich los, ihr...“ Er vergisst, wie er seine Helfer bezeichnen wollte. Ihm fehlen die Wort. Die wenigen, die er noch hat, kullern brabbelnd und kaum verständlich über die Lippen. Meistens schweigt er, dafür rülpst, würgt und furzt er. „Leute bleibt stehen. Ich glaube der muss kotzen. Na komm schon, reihere los.“ Sie schaffen es gerade noch. Fünf Minuten nach zwölf am Tor, gilt immer noch als pünktlich.

Im Block unter die Dusche. Zwei halten ihn, einer zieht ihn aus. „Sag mal, hast du in die Hose gepisst?“ Viel Wasser, erst warm, dann immer kälter, am Schluss eiskalt. Er bibbert, schaudert, will raus, wird zurückgedrängt, flucht, schüttelt sich, kommt langsam zu sich, fängt an zu denken, sich zu erinnern. Er schafft es sogar allein in die Stube, nur beim Aufstieg in das Etagenbett muss ihm einer die Beine hoch stemmen. „Wenn du kotzen musst, stehst du auf. Kapiert!“ Am nächsten Morgen: „Mann, war das eine Scheiße mit der Töle. Danke für den Notdienst! Ich hab alles mitbekommen, konnte aber nichts tun, war total groggy. Nächste Woche spendier ich euch eine Runde, versprochen.“

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