Tango vor dem Zapfenstreich

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Tango vor dem Zapfenstreich

Tango vor dem Zapfenstreich

Yupag Chinasky

Die vier Colibris geben ihr bestes. Schmachtende Schlager erfüllen den von Schweiß, Rauch und Bierdünsten geschwängerten Raum. „Sail along silvery moon - Stranger on the shore – Blue Spanish eyes - Et j'ai crié, crié, Aline, pour qu'elle revienne, et j'ai pleuré, pleuré, oh! j'avais trop de peine.“ Das Saxophon, wahlweise die Klarinette, schluchzt, das Schlagzeug tuschelt verhalten, die Gitarre setzt den Rhythmus, die Stimme des Sängers trieft vor Schmalz, seine Rumbarasseln verbreiten einen Hauch von Exotik. Die vier tragen glitzer-glänzende, weiße Synthetikjacken, rosa Hemden, grellbunte Krawatten, schwarze Hosen. Die Kapelle, so hieß das damals, steht auf dem Podium, dort, wo an Weihnachten der Sportverein sein Theaterstück aufführt und an der Fasnet der Musikverein die besten Kostüme des Kappenabends prämiert. Auf dieser Bühne wird auch getanzt. Die Bohlen sind uneben, Spalten, Löcher allenthalben, es riecht nach Bohnerwachs, von wegen spiegelglattes Parkett. Auf den silberglitzernden Sichtblenden steht in schwarzer, schnörkeliger Schrift „Colibirs“. Der Name und die Schnulzen erwecken Sehnsucht nach der großen weiten Peter Stuyvesandt Welt, nach Freddys Gitarre und dem Meer. Die angestrahlte Diskokugel sendet verhaltene Lichtblitz in den abgedunkelten Raum. Bei Knutschmusik wird abgedunkelt. Kaum erklingen die ersten Töne der langsamen Walzer und Tangos, strömen die Massen, dann machen sich auch die Tanzmuffel auf den Weg. Von der einen Seite bunte Sommerkleidchen, gewagte Miniröcke - der letzte Modeschrei -, ab und an sogar noch ein Pettycoat, glänzende Strumpfhosen trotz der sommerlichen Temperaturen und Stöckelschuhe. Von der anderen Seite hellblaue Hemden, grobstoffige, dunkelblaue Hosen mit gelben Biesen. Die Mützen, Jacken und Krawatten der Ausgehuniformen liegen verstreut auf Tischen und Stühlen. Sehr selten verirrt sich ein Zivilist in den Saal, er fällt unangenehm auf, geht sogar das Risiko ein, angepöbelt zu werden. Natürlich nicht von den Mädchen, die immer im Pulk auftreten, mindestens zu zweit. Auch die Wehrpflichtigen erscheinen in Horden, zimmerweise, kompanieweise. Die einen auf Beutezug zur Besänftigung der Libido, die anderen wollen dem befohlenen Alkoholentzug entkommen. Die Libidosucher taxieren junges Fleisch, entwickeln Strategien der Annäherung und können ihre Testosteronschübe nur mühsam unterdrücken. Die Alkoholsüchtigen füllen ihre Promille auf, saufen im Nebenraum wie die Bürstenbinder, grölen, singen die Kampflieder, mit denen sie unter der Woche den Gleichschritt üben. Die leeren Flaschen bedecken im Laufe des Abends den Boden unter den Tischen. Die Männer sind zwar klar in der Überzahl, aber längst nicht alle sind auf Weiberte, eigentlich machen nur wenige chercher la femme. Somit gibt es auch für Triefel, Hinterwäldler und Dösköppe gute Chancen und schlechte für Mauerblümchen, Unhübsche und Bauerntrampel. Man trifft sich, jeden Samstag Abend, im Festsaal der Krone, dem einzigen Ort, weit und breit, an dem was los ist. Die einen kommen aus Lust zum Schwofen, Anmachen und Knutschen, die anderen, um ihre Höhepunkte beim Komasaufen zu erreichen.

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