Sie setzt sich mutig und gelassen dem scharfen Messer, dem spitzen Stichel, den piecksenden Nadeln und der brennenden Paste aus. Sie zuckt kaum, sie rührt sich nicht, solange die Werkzeuge ihre Haut berühren, sie klagt nicht und jammert nicht. Nur ihr Gesicht kann die Angst und die Schmerzen nicht völlig unterdrücken. Während der tattoo artist stichelt und schneidet und die kleinen Wunden einfärbt, hält der schrille Fotograf die Entstehung des Werkes in allen Einzelheiten fest. Er fotografiert nicht mehr den attraktiven Körper der jungen Frau, nicht ihren formvollendeten Busen im Sakemeer oder ihre schönen Hände auf dem Wannenrand, sondern ihr leidendes Gesicht, auch dieses Gesicht ist das einer Schmerzensmadonna, wenn auch ganz anders als bei der gepeinigten Geisha. Sein Objektiv konzentriert sich auf dieses Gesicht und auf die Hände des Meisters, der ihr die Schmerzen zufügt. Er hält fest, wie sie virtuos die Werkzeuge führen, wie Nadeln und Skalpelle der Haut die gewünschten Muster verleihen und die scharfen Pasten dem Bildwerk Dauer garantieren. Auf seinen Bildern kann nachvollzogen werden, wie das Kunstwerk entsteht, wie der Drache auf der Schulter sitzt, wie ein Bein den Busen umklammert, wie sich der Kopf an den Hals des Mädchens schmiegt. Der Fotograf arbeitet in dieser Phase nur mit einer kleinen Kamera und einer Handlampe. Er will die Intimität, das Geheimnisvolle der Situation nicht stören. Die Bilder müssen authentisch sein und sollen auch die spannungsgeladene Atmosphäre wiedergeben, in der sich der Meister und das Modell befinden. Um solche Bilder zu machen, kann man nicht mit Blitzlicht arbeiten, das tötet die Stimmung und man kann auch keine großen, starren Leuchten gebrauchen, sie sind zu weit weg und zu unbeweglich und erst recht kein unbewegliches Stativ. Die Details einer solchen Tattookunst muss man spontan, Format füllend und aus größtmöglicher Nähe aufnehmen. Eine Hand hält die Kamera, die andere die Handleuchte. Der Fotograf muss ständig die beste Position suchen, muss versuchen möglichst dicht an seine Objekte heranzugelangen. Dabei kommen sich die beiden Meister schon mal in die Quere. Aber der tattoo artist schaut den Störenfried nur missmutig an und sagt kein Wort. Er will sich nicht aufregen, seinem Herz nicht schaden, will Streit vermeiden, er ist ein friedlicher Mensch und er will konzentriert arbeiten, er will das Kunstwerk noch in dieser Nacht vollenden, er kann das, er ist ein schneller Schaffer. Doch dazu muss er ruhig bleiben, kann aber nicht vermeiden, dass ihn das Verhalten des jungen Mannes nervt. Erstaunlicherweise merkt dies der Fotograf, der ansonsten nicht von größter Sensibilität gepeinigt wird. Um den tattoo artist zu beruhigen und zu versöhnen, holt er eine Teetasse aus Porzellan, taucht sie in die Sake und reicht sie ihm, damit auch er ab und zu einen Schluck trinken kann, zur Beruhigung, zur Aufmunterung, zur Erhöhung der Konzentration, je nach dem, er reicht ihm eine Art Friedenspfeife.
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