Ein Gedankenblitz jagt durch sein halb besoffenes Hirn, verdichtet sich zu einem Bild, zu einer Vision und die Maushand fängt an, die Botschaft umzusetzen. Hier ein Gedanke, dort eine minimale Bewegung, hier eine Eingebung, dort die Ausführung. Er ist dabei, sich selbst in seinem Werk zu verewigen. Sein eigenes Antlitz soll sich in der Pupille spiegeln, sein markantes, scherenschnittartiges Porträt, signalrot auf schwarzem Untergrund. Er selbst wird dem Fabelwesen Leben und Bosheit einhauchen und zugleich wird er ein Brandzeichen setzen, eine versteckte Signatur, den Nachweis der Authentizität, wie es auch andere große Künstler mit ihren weltberühmten Werken gemacht haben. Er dirigiert den Cursor in die Mitte der Pupille, die linke Hand drückt auf der Tastatur die Kombination für rot, der Zeigefinger drückt auf die rechte Maustaste, die Farbe fließt.
Auch der tattoo artist hat sein Werk fast beendet. Zuletzt arbeitete er an den züngelnden Flammen, die aus den Nüstern des Drachen lodern und die braune Wange des Mädchens blutrot einfärben. Leuchtendes Rot auf brauner Haut, auch für ihn ein schwieriges Unterfangen. Aber er hat es geschafft, er ist der Meister, er hat das Wissen und die Fähigkeiten. Dann hält er inne, gönnt dem erstarrten Modell eine Pause und betrachtet sein Werk. Er steht auf, schüttelt seine Hände aus, schaut sich das Tattoo aus verschiedenen Perspektiven an. Er ist offensichtlich nicht völlig zufrieden. Etwas stimmt nicht. Der dämonische Drache ist ihm zu nichtssagend, zu harmlos. Er schließt die Augen, dann ein tiefer Schluck Sake aus der Teetasse und plötzlich weiß er, was nicht stimmt. Es ist das Auge, das böse Auge des Drachens. Es ist zu ausdruckslos, zu harmlos, zu flach, weder eindringlich noch suggestiv. Es muss herausgehoben werden, es muss richtig böse funkeln, die Bosheit dieser Welt muss sich in diesem einen Auge ausdrücken.
Tattoo art
Lost in transformations - Teil 2
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