Tattoo art

Lost in transformations - Teil 2

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Yupag Chinasky

Jedes Mittel ist ihr recht, dem Vogel Schlaf zu widerstehen, der sie umgarnt, einlullt, einspinnt und sie in die verführerische Tiefe eines seligen Nirvanas hinab ziehen will. Um beides zu vermeiden, einzuschlafen und einzutauchen, hat sie die Unterarme fest auf den Rand der Wanne gepresst und die Augen weit aufgerissen. Krampfhaft starrt sie auf die großen Fenster, durch diese hindurch in die dunkle Nacht, auf den Teil der Glitzerwelt, den sie von der Wanne aus sehen kann und weiter zum Horizont, den sie mehr ahnen als sehen kann. Aus ihrem Bardo, ihrem Zwischenreich, halb wach, halb Traum, starrt sie in die reale Welt, auf ein Gemenge von Hell und Dunkel, von Lichtern und Schwärzen, von Reflexen und Spiegelungen, von Dunst und Nebel. Und plötzlich sieht sie, erst verschwommen, aber dann zunehmend deutlicher, etwas Ovales, ein helles Dreieck, einen Kegel. Sie weiß sofort, intuitiv, dass dies der heilige Berg ist, von dem sie bisher nur gehört, ihn aber noch nie gesehen hat. Es ist wie eine Eingebung, wie eine hoffnungsvolle Erscheinung und sie wundert sich, dass er so groß und so nah ist, dass er fast im Raum zu sein scheint. Sie lächelt. Sie ist glücklich. Sie hat den schlimmsten Anfall von Schlafsucht überwunden und einen Punkt gefunden, der ihr Halt und Zuversicht gibt. Auf diesen Punkt, auf das helle Oval, will sie nun unverwandt starren, selig, glücklich, wie in Trance. Nur ihr Gesicht verrät die Anspannung, ihr Gesicht und die heftig pulsierende Halsschlagader und in ihren Augen spiegelt sich immer noch die Angst, dass sie doch einschlafen, umkippen, abrutschen könnte und dass ihr in einem solchen Moment der Schwäche, das Messer des Tätowierers gefährlich werden könnte, sehr gefährlich.  
Das Mädchen hat seine Ordnung in der Ferne gefunden und auch in der Nähe hat sich die Lage beruhigt. Der sedierte Fotograf stört nicht mehr und der tattoo artist hat seine kurze Schwächephase überwunden.

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