Tattoo art

Lost in transformations - Teil 2

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Yupag Chinasky

Ständig muss er sein Gleichgewicht mit den Beinen ausbalancieren, ständig ist er in leichter Bewegung, ein zappelnder, grün-bunter Klecks mit einer Kamera in der einen Hand und einer Lampe mit langem Kabel in der anderen. Diese absurde Stellung, dieses bescheuerte Verhalten ist nur möglich, weil die beruhigende Wirkung des vielen Sake wieder in ihr Gegenteil umgeschlagen ist. Er ist wieder der Alte, rastlos, aggressiv, er glaubt nun wieder, alles zu können.
Die Anspannung des Tätowierers und die Unruhe des Fotografen haben auch den Alten auf dem Sofa erfasst. Sei es, dass er die kritische Phase, in der sich sein Kunstwerk befindet, in allen Einzelheiten verfolgen will, der Zappler verdeckt ihm oft die Sicht, sei es der Wunsch, die nackte Frau intensiver, aus geringerer Distanz zu betrachten, jedenfalls steht er auf, geht auf die Wanne zu und bleibt an deren Fußende stehen, so weit weg wie nötig, um die Akteure nicht zu stören, so nah wie möglich, um zu erkennen, was er sehen will. Natürlich interessiert ihn das Kunstwerk, das vor seinen Augen Gestalt annimmt. Natürlich weiß er dessen Wert zu schätzen, weiß die feinen Details der Formen, die Intensität der Farben, die traditionelle Arbeitstechnik des Tätowierers zu würdigen. Hat er nicht das Recht, wenn nicht sogar die Pflicht, zu verfolgen, was da geschieht, was die Künstler in seinem Auftrag machen? Bezahlt er nicht das Ganze? Kann er, ergo, nicht auch die Frau in der Wanne begaffen, wann immer er will, wie lange er will, von wo aus er will? Gaffen, glotzen, sich aufgeilen! Ihm gehört die Welt, diese Welt an diesem Abend. Sie ist sein Eigentum, alles ist ihm untertan. Er nimmt einen kräftigen Schluck Sake aus der Porzellanschale, die er mitgenommen hat und sieht, dass der Drache fast vollendet ist. Er beobachtet, wie der schrille Fotograf herumturnt, wie ein Artist, ratlos in der Zirkuskuppel.

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