Glas splittert, kalte Luft dringt in den Raum und der Drachen verlässt sein Studio, sein Zimmer durch das nun offene Fenster. Und während das Wesen den Raum verlässt, verlässt die Angst den Künstler. Er eilt zum Fenster, schaut hinaus und sieht, wie sein Werk, sein unvergleichlich schöner, unendlich grässlicher, grauenvoll betörender Lindwurm immer kleiner wird, wie er die beiden Türme des mächtigen, nächtlichen Doms umkreist, wie er sich zu einem roten Punkt verdichtet und dann nach Osten fliegt, der aufgehenden Sonne entgegen, deren Rot sich ganz schüchtern am Horizont andeutet. Zurück bleiben ein fassungsloser, entgeisterter digital artist, ein zersplitterter Monitor, eine demolierte Tastatur, ein Computer, der sich nicht mehr bedienen lässt und auf dem Fußboden die Scherben einer zerbrochenen Sakeflasche. Aber seltsamerweise finden sich keine Splitter der Fensterscheibe auf dem Fußboden und als er genauer hinsieht, merkt er, dass das Fenster offen, die Scheibe aber unbeschädigt ist. War das Ganze also doch nur eine Einbildung, eine Illusion, das Resultat seiner überreizten Nerven?
Später, am nächsten Morgen, als sich diese Nerven wieder beruhigt haben und auch der Alkoholpegel gesunken ist, wird er feststellen, dass der Computer und die Festplatte intakt geblieben sind und dass nur der Monitor und die Tastatur zerstört wurden. Auf dem neuen Monitor sieht er sein letztes Bild. Es ist so, wie er es in Erinnerung hat, bevor der Rechner seinen Geist aufgegeben hat, bevor der Drache sein Gefängnis verlassen hat. Der hyperrealistische Oberkörper des Mädchens, die feine Zeichnung des Tattoos, alles ist von roten Schlieren und feinen Verästelungen überlagert, ein rotes Netz liegt auf seinem Werk, wie das Muster einer überdimensionalen Iris. Nur das Auge, die mühevoll gestaltete Pupille, ist seltsamerweise unbeschädigt.
Tattoo art
Lost in transformations - Teil 2
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