Tattoo art

Lost in transformations - Teil 2

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Yupag Chinasky

Das Resultat seiner Nachlässigkeit war dieses apokalyptische, zugleich grandiose Bild. Was der digital artist in dieser Nacht erlebt hatte, war der Triumph einer Maschine und einer Software über das Genie eines schaffenden Künstlers. Es war der Sieg der künstlichen, künstlerischen Intelligenz über die in Jahrtausenden entstandene natürliche, menschliche Intelligenz. Es gewährte einen Ausblick in eine Zeit, die eines Tages sicher kommen wird. Den digital artist schauderte. Für das Bild hatte er eine Erklärung gefunden, aber was war mit der Flucht des Drachens aus dem Monitor, sein Flug, sein Entkommen? War das Einbildung gewesen? War das das der Überreizung seiner Nerven geschuldet? Eine Verwirrung der Sinne, eine Illusion, ein perfider Traum, eine Nachtmar und Fata morgana? Dieses Rätsel blieb ungelöst und seine Rätselhaftigkeit potenzierte sich, als er, viel später, von dem Alten hörte, was zur selben Zeit am anderen Ende der Welt geschah.
Dort zögert der verunsicherte tattoo artist immer noch, die wenigen, letzten Schnitte auf der heftig pulsierenden Halsschlagader zu setzen, denn genauso heftig zittert seine Hand, die das Skalpell hält. Er stiert wie unter Hypnose auf die Ader, auf das Messer und auf seine Hand. Er merkt, dass sie seinem Willen nicht mehr gehorcht. Angstschweiß tropft von seiner Stirn, vermischt sich mit Tränen der Wut und der Machtlosigkeit und diese Mischung trübt zusätzlich seinen Blick. Er ist gelähmt. Er ist außerstande, die letzten Feinheiten des Drachenauges in die Mädchenhaut zu ritzen. Er kann und will aber die rebellische Hand auch nicht sinken lassen, kann sich keine Pause erlauben, ist genauso außerstand zu warten, bis alles wieder normal funktioniert. Denn er weiß, dass er diese Hand danach nicht mehr hochheben kann, dass er dann nicht mehr in der Lage sein wird, sein Werk zu vollenden. Die Erkenntnis, dass er dann für seinen geliebten Beruf zu alt geworden ist, überkommt ihn mit aller Macht.

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