Tattoo art

Lost in transformations - Teil 2

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Yupag Chinasky

Der Mund bleibt geschlossen, der Schrei bleibt in der Kehle stecken. Sie will alle Kräfte bündeln, aufspringen, raus aus der Wanne, davonlaufen, fliehen, sich verstecken oder wenigstens um Gnade flehen. Doch die Arme liegen gelähmt auf dem Wannenrand und die Beine sind tot und völlig nutzlos, der Mund lässt keinen Laut entweichen. Sie sitzt bewegungslos da, vollkommen paralysiert, gebannt von dem schrecklichen Anblick vor dem Fenster. Sie ist das Kaninchen vor der Schlange. Sie wünscht sich, da ein Entkommen unmöglich ist, unsichtbar zu werden, sich wie im Märchen eine Tarnkappe überzustülpen oder wenigstens die Augen zu schließen, um die Wahrheit auf diese Weise zu verdrängen, um die grausame Realität hinter sich zu lassen. Aber nicht einmal der Vogel-Strauß-Effekt will ihr gelingen. Der Drache hat alles in ihr gelähmt und ihre einzige Hoffnung ist, dass die Fensterscheibe standhält, die paar Millimeter Glas, die sie von dem Scheusal trennen.
Der Alte, der vor der Vase angefangen hat, umherzuhüpfen und mit seinen Armen in den weiten Ärmeln des grünlichen Yukata zu schlagen, ist einen Moment irritiert. Er folgt dem entsetzten Blick der Frau, dreht sich um, sieht das Fenster, erkennt den gewohnten Blick aus dem Fenster. Mehr ist da nicht und nun ist er überzeugt, dass ihr Blick ihm gilt, nur ihm. Sie hat Angst vor ihm, das merkt man und zugleich erwartet sie ihn, das spürt er. Sie fürchtet sich vor ihm und zugleich begehrt sie ihn. Auch in ihr bilden Angst und Gier eine explosive Mischung. Sie ist bereit, er ist bereit, die finale Vereinigung kann beginnen. Der Alte springt noch einmal hoch, höher als zuvor, brünstiger denn je reißt er mit einer weit ausholenden Bewegung seiner Arme den Yukata auf, entblößt seine Brust, zeigt die furchterregende Tätowierung eines Dämons und stößt zugleich voller Wucht gegen die Vase.

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