Er senkt das Messer, er sticht ganz sanft in die Haut über der Halsschlagader. Er registriert, wie in Folge dieser Berührung die Halsschlagader heftig pulsiert und sich die Muskeln der Frau anspannen, wie ihr Hals starr wird und ihre Arme sich auf dem Beckenrand verkrampfen. Doch was dann geschieht, ihre weitere Reaktion auf seinen sanften Stich, ist völlig unerwartet, völlig überzogen. Der tatoo artist ist maßlos überrascht und nun fährt auch ihm der Schrecken in die Glieder. Als er merkt, dass die Tigerin zum Sprung ansetzt, ist es zu spät, die Tigerin ist bereits gesprungen.
In dieser Sekunde wird die Katastrophe real. Das, was bisher Fiktion war, was sich im Reich der Träume und der Phantasie abgespielt hat, wird zur blutigen Wirklichkeit. Die befreite Frau in der Wanne vollführt plötzlich, aus ihrer starren Sitzposition heraus, eine überaus heftige, komplexe Bewegung. Die Unterarme, eben noch lässig auf dem Wannenrand, verkrampfen sich und drücken zusammen mit den angespannten Oberarmen ihren Körper hoch. Die Beine, eben noch tot und ausgestreckt, werden angezogen und unterstützen das Hochstemmen. Der Mund, eben noch stumm und krampfhaft verschlossen, öffnet sich und entlässt einen erlösenden Urschrei der Wiedergeburt. Der Kopf, eben noch stocksteif und unbeweglich auf das Phantom vor dem Fenster gerichtet, schnellt nach vorne und unten. Die Frau, die Tigerin, die zum Sprung ansetzt, um zurück in das Leben zu gelangen, endet im Tod. Der Befreiungsschlag besiegelt ihr Schicksal. Statt einer fiktiven Gefahr zu entrinnen, erliegt sie einer realen. Auf der Flucht vor einem Trugbild, vernichtet sie die Wirklichkeit brutal. Als sie sich aufstemmt und den Kopf nach vorne stößt, dringt das spitze Skalpell tief in ihre Halsschlagader ein. Ein Strahl hellroten Bluts spritzt heraus. In der Sake bilden sich rote Schlieren. Auf der Strohmatte und dem Yukata des Tätowierers erscheinen rote Sprenkel.
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Lost in transformations - Teil 2
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