Langsam und verschlafen fielen von weither die Schläge der Turmuhr in die summende Mittagsstille. Auf den Platten der Terrasse tanzten Sonnenkringel, ein paar Schmetterlinge taumelten träge über die Wiese. Blitzende Fliegen zuckten lautlos vorbei. Hin und wieder ließ eine Grasmücke ihren schwirrenden Ruf hören : Dornröschenzeit! - Ich schaute dem Rauch meiner Pfeife nach, wie er langsam durch die Weiden- und Haselnußbüsche zog und sich über den Gartenzaun verlor. Stille. Träge, verschlafene Stille. Nur in der Küche hörte ich meine Königin hantieren. Das ist Tao, dachte ich. So hatte ich mir die Stille immer vorgestellt. Erst diese vertrauten Geräusche machten sie hörbar. Stille ist belebte Ruhe zwischen Lauten; absolute Stille ist tot.
* * *
Ich hätte stundenlang so sitzen und meinen Gedanken nachhängen können, aber wenn meine Königin mit Geschirr klapperte, bedeutete das, daß ich gleich zum Essen gerufen wurde. Und nach dem Essen würde ich wieder an die Arbeit gescheucht. (Nicht, daß ich ungern arbeite. Es muß mir nur flüssig von der Hand gehen; Geduld ist noch nie meine starke Seite gewesen.)
"Essen ist fertig; kannst kommen!"
"Weißt du was, wir könnten bei dem herrlichen Wetter auf der Terrasse essen", schlug ich vor. "Ich helfe dir schnell die Sachen raustragen. Womit werde ich denn heute verwöhnt?"
"Dampfnudeln. Ich dachte, ich mach' dir eine Freude damit." Und schon war sie wieder auf dem Weg in die Küche.
Mir lief bei dem bloßen Gedanken das Wasser im Mund zusammen. "Aber bitte mit viel Buttersauce; und vergiß den Zimt nicht", rief ich ihr nach.
Auf dem Tisch das gewürfelte Tischtuch, darauf die Schüssel mit den Dampfnudeln; im Schatten der Bäume, die Lichtflecke über sie spielen lassen : meine Königin - strahlend.
"Du strahlst ja so, ist irgendwas?"
"Ich freue mich nur, wenn ich höre ("Sehe", verbesserte sie schnell), wie es dir schmeckt." Und strahlte weiter, jetzt nur eine Spur süffisanter. "Iß nur tüchtig, es sind genug Klöße da. Ich darf nicht so viel essen."
Irgendwie kam ich mir ertappt vor. Aber bei Dampfnudeln kann ich einfach nicht bremsen. (Ich gelte sowieso als der Familienvielfraß, obwohl ich schlank wie ein Aal bin : Arbeit zehrt eben - auch geistige.)
Ich schämte mich gebührend und wollte eben wieder zu meinem Buch greifen, aber die Königin hatte mich durchschaut.
"Du wolltest doch mähen, heute."
Mist! Daß ihr das ausgerechnet jetzt einfallen mußte. Kein Feingefühl!
"Jedes Tier legt sich nach dem Fressen hin und verdaut. Guck dir die Kühe auf der Weide an."
"Ich wußte gar nicht, daß du ein Ochse bist."
"Wenn ich bei der Hitze mähen würde, wäre ich einer", maulte ich. "Ich habe schließlich noch anderes zu tun."
"Ach ja, du mußt ja joggen", sagte sie. Der Spott in ihrer Stimme war unüberhörbar.
"Ich habe noch nie im Leben 'Jogging' betrieben. Im übrigen könntest du auch 'Waldlauf' sagen - immer diese dämlichen Modewörter!"
"Du solltest keinen Waldlauf machen; ich meine Komma-Jogging", sagte sie und sah mich dabei so komisch an.
"Was soll denn das heißen", erkundigte ich mich mißtrauisch. "Du hast doch irgendwas."
"Abwarten", sagte sie, zog mich ins Wohnzimmer, drückte mich in den Sessel und legte eine Cassette auf. Dann setzte sie sich mir gegenüber und beobachtete mich.
Ich war sprachlos. 'Meditation' - und das mir! Ich bin doch kein Fakir. Aber es kam noch dicker. Meine Königin grinste und drehte die Cassette um. "Paß schön auf, jetzt kommt dein 'Komma-Jogging'."
Meine Königin mußte den Verstand verloren haben : ich war doch kein Sonderschüler! Wollte sie mich veräppeln?
"Eigentlich kann ich gar nicht darüber lachen", sagte ich gereizt. "Wer, um Himmels willen, hat dir denn das angedreht?"
"Mir hat das keiner 'angedreht; das ist für dich - von deinem Sprach-Kindergarten.
So perplex war ich selten gewesen. Aber dann schob sie mir das Begleitschreiben über den Tisch, und ich las mit eigenen Augen, was ich nicht für möglich gehalten hatte.
* * *
Das hatte ich also davon, daß ich mich - aus Zweifel an meinem eigenen Können - zu einem Fernlehrgang im Schreiben angemeldet hatte! 'Individuelle Betreuung' war mir da versprochen worden, 'von Profis, die ihr Handwerk verstehen'. Und dann kam diese Cassette, auf der man mir mit Hilfe einer unglaublich einfältigen Geschichte beibringen wollte, wie man mit Satzzeichen umgeht.
Ich saß wie ein begossener Pudel da und wußte nicht, ob ich lachen oder mich ärgern sollte. Meine Königin glaubte doch nicht etwa, daß ich auf so etwas angewiesen war!
"Willst du nicht doch den Rasen mähen?" fragte sie. "Von so einem Tiefschlag erholt man sich am besten mit etwas körperlicher Arbeit."
Ich ging in den Schuppen, wetzte grimmig die Sense und ließ meine Wut an der Wiese aus. Schwaden um Schwaden fiel, und nach kurzer Zeit hatte ich mein Pensum geschafft. Aber auch mein Ärger war verflogen. Schweißnaß streifte ich das Gras von der Klinge und zog mich aus, um mich zu duschen.
Durch den Vorhang erkannte ich die süßen Konturen meiner Königin.
"Du kannst ruhig reinkommen und mir den Rücken waschen. Aber paß auf, daß du nicht ausrutschst", rief sie durch das Sprudeln und Plätschern.
Mit einem Ruck schob ich die Milchglastür zur Seite und nahm sie in die Arme. Sie legte den Arm um meinen Nacken, während sie mit der anderen nach dem Wasserhahn tastete.
Plötzlich blieb mir die Luft weg, so eiskalt strömte mir das Wasser über den Körper. Vor der Duschkabine stand meine Königin und schüttete sich aus vor Lachen.
"Ich dachte, daß dir nach dem Tiefschlag und dem Mähen eine kalte Dusche gut bekommen würde", zwitscherte sie, warf mir ein Handtuch zu und zog mich ins Schlafzimmer.
* * *
"Ooooch", stöhnte sie, "das war himmlisch, wo hast du das nur gelernt?"
"Wer so eine Frau wie dich hat, der braucht das nicht erst zu lernen", sagte ich. "Du beflügelst meine Phantasie."
Sie beugte sich über mich. "Na, dann gib deinem Affen mal Zucker und zeig mir, daß du noch mehr Phantasie hast - an der Schreibmaschine, meine ich. Bis zum Abendbrot will ich mindestens vier Seiten lesen."
Ich werde mich wohl an die Arbeit machen müssen.
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