Erwin dachte an Tina, die ihm mehr bedeutete, als er sich anfangs eingestand. Es ging ihm um mehr, als diesem burschikosen Mädchen wieder die jungfräulichen Lippen liebkosen zu können. Hinter Tinas selbstbewusster Attitüde verbarg sich ein sehr sensibles, gefühlvolles Wesen. Es war bei ihm so ähnlich. Erwin gab sich gern als Halbstarken aus, den nichts schrecken konnte. Dabei war er in Wahrheit sehr verletzlich, litt schrecklich unter dem Tod seiner Mutter. Er hatte sie im Alter von 10 Jahren verloren. Sein Dad hatte zwar nicht mehr geheiratet, aber kaum Zeit für seinen jüngsten Sohn. Erwin fühlte sich abgeschoben von ihm. Seit seine Mama gestorben war, sehnte er sich nach einem Mädchen, das ihr ähnlich war. In Tina meinte er, so jemanden gefunden zu haben. Erwin schrieb ihr einen ehrlichen Brief, der ihm schwer fiel.
„Liebe Tina! Ich habe einen schlimmen Fehler begangen, als ich dich und Charlotte ans Messer geliefert hab. Es tut mir so leid! Mein Alter ist schuld, weil er mir immer mit einem anderen Internat droht. Der Direx sagte, dass er ihm alles erzählt, wenn ich nicht mit der Wahrheit rausrücke. Da hab ich ihm erzählt, dass wir auf Ruteberg waren. Na ja, auch dass Hannes und ich mit dir und Charlie auf den Heuboden gestiegen sind. Mehr aber nicht, ehrlich! Okay, dass wir uns geküsst haben, das wissen unsere Direktoren auch. Tinchen, es tut mir so leid, dass du es mit dem Rohrstock gekriegt hast. Bei mir ist das schnuppe, das juckt mich nicht. Aber dass die Streich dir deinen schönen Popo verhauen hat, das hätte nie passieren dürfen. Ich bin daran schuld. Auch dass sie Charlotte übers Knie gelegt hat, geht auf meine Kappe. Sag mir, was ich tun soll, dass du mir verzeihen kannst.
Ich hab dich doch lieb! Gib mir noch eine letzte Chance, bitte. Ich nehm jede Strafe von dir an!!!
Dein Erwin“
Er klebte das Kuvert sorgsam zu, malte auf den Umschlag ein dickes Herzchen.
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