Tinder-Date in Zeiten von Corona

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Tinder-Date in Zeiten von Corona

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Fräulein November

„Schön. Du siehst sehr hübsch aus, Jessie.“ Sie legte den Kopf schräg. Das war nett. Es tat überraschend gut, das zu hören. „Und auch eine sehr hübsche Zunge.“ Sie lachte. Okay, neuer Versuch: „Ja, und die kann auch noch ganz andere Dinge…“ „Das glaube ich gerne.“ Sie grinste zufrieden – ah haaa! „Aber sie ist auch sehr frech.“ „Man sollte dir den Mund mit Seife auswaschen ;)“ Erneut wusste Jessie nicht, ob sie lachen oder sich ärgern sollte. Dass sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte, war ein neues Gefühl für sie. Und es war, überraschenderweise, nicht unbedingt unangenehm. „Never! Davon kannst du lange träumen! :D“ „Ich geb dir eine Runde Sushi aus, wenn dus tust.“ Ihre Augenbrauen schnellten nach oben. Sie liebte Sushi – und das stand auch in ihrem Profil. Gott und sie hatte schon ewig keins mehr gehabt. „Tu es und schick mir ein Video. Dann bestelle ich dir was.“ „Allerdings brauche ich dann deine Adresse ;)“ Unschlüssig blickte Jessie aufs Display. Das war doch absurd. Sie würde doch nicht… und schon gar nicht… ach fuck it. No risk no fun. Sie grinste gequält und ging ins Bad. Wozu die Langeweile sie doch alles trieb…

Ihre Seife war Marke „Milch und Honig“. Das klang doch immerhin appetitlich! Sie lehnte das Handy gegen ihren Zahnputzbecher und aktivierte die Video-Funktion. Zog eine Grimasse und griff nach dem Stück Seife. Wie sollte sie das überhaupt anstellen? Sie musste lachen, riss sich zusammen, streckte die Zunge raus und berührte die Seife mit deren Spitze. Verzog das Gesicht – Igitt, das war ja widerlich! Ein zauderndes Grinsen in die Kamera, dann kniff sie die Augen zusammen und strich mit der Seife über ihre herausgestreckte Zunge, ehe sie sie in den Mund nahm und kurz daran lutschte. Oh Gott… Ihr stiegen fast die Tränen in die Augen. Schnell ließ sie die Seife fallen und drehte den Wasserhahn auf, schaufelte sich das Wasser in den Mund, gurgelte und spuckte, die schaumige Brühe lief ihr über das Kinn. Sie konnte den Geschmack kaum loswerden, verschluckte sich und musste husten. Ein paar Tränen liefen ihre über die Wangen, dann kam sie endlich wieder zu Atem und hob den Blick zur Kameralinse. Ehe sie es sich noch anders überlegen konnte, schickte sie das Video ab und ließ sich dann, immer noch leicht hustend, auf den Toilettendeckel sinken.

Sie fühlte sich sonderbar. Der Seifengeschmack war immer noch in ihrem Mund. Das war doch bescheuert, wieso hatte sie das getan…? Fast musste sie über sich selber lachen, aber nur fast. Schämte sie sich? Sie blickte zum Handy. Vielleicht hätte sie sich das Video erst nochmal ansehen sollen. Oder vielleicht besser nicht. Wollte sie das sehen? Sie fühlte sich gedemütigt. Sie fühlte sich seltsam. Ihr Handy leuchtete auf. „Gut gemacht, Jessie! Ich denke, das war gut für dich.“ Sie starrte auf das Display. Versuchte zu verstehen, warum es in ihrer Mitte flatterte, während sie das las. Warum ihr ein wenig heiß wurde, auch wenn ihr in dem dünnen Kleid eigentlich zu kalt sein müsste. „Also, wie ist deine Adresse? Du hast dir deine Belohnung wirklich verdient! :D“ Ohne nachzudenken schickte sie ihm ihre Anschrift. Kurz darauf: „Alles klar, dein Essen ist unterwegs, Jessie. Bist du noch im Bad?“ „Ja“ „Wie fühlst du dich?“ „Ich weiß nicht. Das war eklig.“ „Ja, das konnte ich sehen. Geh wieder rüber. Hast du Schokolade?“

 

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