Sie roch überall nach Treibstoff. Doch, doch, kein Scherz! Hinterm Ohr und am Handgelenk. Auf ihren Liddeckeln und im Haar. Ja, sogar zwischen ihren Schenkeln: Überall roch sie nach Treibstoff. Tag und Nacht trug sie einen verwaschenen blauen Overall, selbst an den wenigen Abenden, wo ich mit ihr ausging. Sie hatte einfach mehrere dieser praktischen Arbeitsanzüge. Niemals war sie ungewaschen oder stank sie, selbst ihr Mund roch immer gut, aber stets umwehte sie dieser bittere Odeur von Benzin, diese Verheißung von Abenteuer und Selbständigkeit. Ich lernte sie kennen, als ich in der Post hinter ihr stand. Ihr fehlten ein paar Groschen für einen Brief und ich half ihr aus. Später saßen wir bei Cappuccino mit aufgeschäumter Milch und einem Stück trockener Blutwurst im Café. Eine denkwürdige Mischung.
Schon damals sog ich begierig ein, was von ihr herüber wehte. Treibstoff, eben. Ich weiß nicht ob es der enge Overall war oder ihre weißen Zähne, vielleicht waren es ihre glänzenden, tiefgrünen Augen oder ihre tiefe, leicht rauhe Stimme, aber ich fühlte mich bald wie möglicherweise zuletzt mit Sechzehn. Und ein kleines Gasfeuerzeug flammte auf in meiner Brust. Wir lachten viel und plauderten über Belanglosigkeiten, wie den Zusammenhang zwischen Skorbut und Ascorbinsäure. Dann gingen wir unserer Wege, nicht ohne die Telephonnummern ausgetauscht zu haben. Am nächsten Tag war ich fast am Ende meiner obsthaltigen Frühstückszeremonie angelangt, als plötzlich mein Telephon klingelte. Ihre schöne Stimme sprach von einer Fahrt nach Mecklenburg und von Kranichen und Schilf. Ich war wie benebelt. Stundenlang hätte ich ihr lauschen können. Und meine Nase roch Benzin. Ich kam schließlich zweieinhalb Stunden zu spät zur Arbeit.
Das wird bei einem Hoteldiener im "Four Seasons" nicht gerne gesehen. Viele Stunden später, nachts auf meinen Anrufbeantworter, war sechsmal sie zu hören. Ich rief natürlich sofort zurück. Sie war noch wach, im Hintergrund hörte ich einen Fernseher. Wir unterhielten uns nur kurz und eine halbe Stunde später stand ich vor ihrer Tür. Ihr Haar war offen und schimmerte wie Honig. Im linken Ohr trug sie einen blauen Stein. Sie lächelte, nahm meine Hand und zog mich in ihre Wohnung. An der Decke ihres einzigen Zimmers funkelte ein riesiger Leuchter aus Muranoglas, an der Wand hing ein Rentierfell. Ein kleiner Tisch mit ein paar Orangen, ein Papierstapel auf dem Boden und ein schmiedeeisernes Himmelbett vervollständigten den ansonsten leeren Raum. Ich wollte zum Fenster gehen, da küßte sie meinen Hals. Volle Treibstoffdröhnung! Ich hob sie hoch und legte sie aufs Bett. Sie war erstaunlich leicht. Der Reißverschluß ihres Overalls ließ sich öffnen wie geschmiert. Ihr Busen war klein und fest und roch wie alles an ihr. Wir vögelten die ganze Nacht und ihr Duft war mein Treibstoff. Später, im Hotel, fragte mich ein Gast, ob ich nebenbei noch Autos reparieren würde- ich mußte lachen. Immerhin war ich pünktlich. Übers Wochenende nahm ich mir ein paar Tage frei und sie fuhr mit mir auf dem Sozius ihrer alten "Indian" Richtung Küste.
Treibstoff
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