Überraschung für Olivia

Eine nicht alltägliche Familie - Teil 64

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Überraschung für Olivia

Überraschung für Olivia

Grauhaariger

Das Assessment

„Ah … Frau Andersson. Schön, dass sie da sind. Bitte nehmen sie doch Platz“, begrüßte Herr Zeller die Pilotin und deutete mit der Hand in die Besprechungsecke seines Büros, wo sich ein paar gemütliche Sessel und ein kleiner Tisch befanden. „Ich möchte mich für ihr Kommen bedanken und wünsche ihnen nachträglich noch ein gutes neues Jahr. Hoffentlich sind sie und ihre Familie gut im neuen Jahr gestartet.“
Er setzte sich dabei Olivia gegenüber und warf einen kurzen Blick in die Aktenmappe, welche er von seinem Schreibtisch mitgenommen hat.
„Nun, also … ich habe ein Attentat auf sie vor. Es geht um die Überprüfung der ‚Flight and Safety Procedures‘ bei einer Cockpit Crew. Sie kennen ja die ganzen Checks aus eigener Erfahrung.“
Olivia nickte und verdrehte bei der Erwähnung von „Flight & Safety Procedures“ ganz leicht die Augen. Ja, sie kannte diese Checks … zur Genüge. Diese Sicherheitsüberprüfungen, oder auch Assessments genannt, wurden immer durch geschulte Mitarbeiter der Airline selbst oder der Unternehmensgruppe durchgeführt. Einmal hatte sie sogar schon das Vergnügen einer Kontrolle durch die Flugaufsichtsbehörde.
„Wie sie wissen, werden die schweizerische Tochtergesellschaft und unsere Airline zukünftig in den Bereichen Aus- und Weiterbildung noch enger zusammenarbeiten. Nun haben die Kollegen aus Zürich den Wunsch geäußert, ob nicht jemand von unserer Airline Interesse hätte, ein Assessment im dortigen Trainingscenter zu beaufsichtigen“, erklärte Herr Zeller. „Eigentlich wäre dafür Flugkapitän Klaus Wörner von Frankfurt vorgesehen gewesen, aber leider musste er aus privaten Gründen kurzfristig absagen. Als Ersatz für den Kollegen Wörner haben wir nun an sie gedacht, Frau Andersson. Für sie wäre es doch sicher eine interessante Abwechslung, einen Safety Check bei einer anderen Fluggesellschaft begleiten zu dürfen. Sie sind schließlich die jüngste Flugkapitänin der Airline und außerdem auch unsere beste Testpilotin auf der A350.“
„Ich soll ein Assessment beaufsichtigen?“ fragte Olivia ein wenig betroffen. „Eine solche Aufgabe habe ich noch nie selber durchgeführt. Bin ich überhaupt berechtigt, ein Audit in dieser Art durchzuführen?“
„Ach, Frau Andersson, alles halb so wild. Sie werden das Ganze einfach begleiten. Die eigentliche Überprüfung werden die erfahrenen Kollegen des dortigen Auditteams übernehmen. Sie führen in Anführungsstrichen nur die Oberaufsicht“, meinte Herr Zeller mit einem Augenzwinkern.
Nur ganz langsam begriff Olivia, welche Aufgabe und Verantwortung auf sie zu kam. Mit etwas flauem Gefühl im Magen nickte sie jedoch zustimmend.
„Schön, dann wäre das mal geklärt. Jedoch kommt jetzt das vielleicht Unerfreuliche an der ganzen Sache. Der Safety Check ist schon am 12. Januar vorgesehen, also müssten sie bereits am Freitagmorgen nach Zürich fliegen. Es ist bereits alles arrangiert. Nach der Ankunft werden sie abgeholt und dann zum dortigen Ausbildungscenter gebracht. Für die Übernachtung ist ein Zimmer im Radisson Blu Airport Hotel gebucht. Außerdem haben die Schweizer für den Samstag noch irgendetwas vorbereitet. Ihr Rückflug findet dann am Sonntag statt.“
Dazu reichte er Olivia einen Schnellhefter mit den entsprechenden Unterlagen. Olivia rutschte ein wenig verlegen auf ihrem Sessel hin und her. Die lobenden Worte mit „jüngste Flugkapitänin“ und „beste Testpilotin“ schmeichelten ihr natürlich sehr. Aber sie hatte doch einfach nur ihren Job gemacht. Zugegeben, die Landung der A350 mit den kaputten Reifen war perfekt. Ein Dankeschön oder etwas Ähnliches hätte doch auch gereicht und jetzt gleich diese Aufgabe – Überprüfung der „Flight and Safety Procedures“ …
„Ich danke ihnen für ihr Vertrauen, Herr Zeller“, konnte Olivia endlich antworten. „Hoffentlich werde ich dieser Aufgabe gewachsen sein … ich meine eine andere Crew zu inspizieren.“
„Sie werden das Kind schon schaukeln, Frau Andersson, da bin ich absolut überzeugt“, lachte ihr Gegenüber und gab Olivia zum Abschied die Hand. „Und genießen sie dieses ganz spezielle Wochenende!“
Mit fragendem Blick schaute Olivia ihren Vorgesetzten an. ‚Was soll das jetzt wieder bedeuten?‘ fragte sie sich und was meinte er mit ‚ein spezielles Wochenende?‘ Sie wusste keine Antwort …

*****

Martin ließ es sich nicht nehmen, am frühen Morgen extra aufzustehen, um seine geliebte Olivia für das „spezielle“ Wochenende zu verabschieden. Er war am Vortag nochmals von Herrn Zeller über den genauen Ablauf informiert worden mit der nochmaligen Bitte seiner Frau gegenüber nichts zu erwähnen. Normalerweise war Olivia vor der Arbeit eigentlich nie aufgeregt, aber heute tigerte sie unruhig durch das Haus, was für sie eher ungewohnt war.
„Liebling, nun beruhige dich doch …“, sprach Martin und nahm Olivia in seine Arme. „Warum bist du so nervös, normalerweise bist du doch die Ruhe in Person.“
„Ach, ich habe einfach keine Ahnung, ob ich das auch alles richtig durchführen werde“, entgegnete sie ein wenig resigniert. „Ich soll ein komplettes Assessment bei einer Tochterunternehmung begleiten, eine fremde Crew, eine fremde Airline … was werden die wohl von mir denken?“
Martin trat hinter seine geliebte Olivia und umarmte sie.
„Mein Liebling, das machst du doch mit links. Du fliegst jetzt nach Zürich und stellst dich vor die Leute mit dem Wissen, ICH …“, dabei nahm Martin Olivias Hand und legte sie auf ihre Brust, „…weiß alles und ihr …“, er machte eine schwenkende Bewegung mit ihrer Hand zu einem virtuellen Publikum, „…habt gar keine Ahnung. PUNKT!“
Olivia musste lachen über die Ernsthaftigkeit, mit der Martin dies eben gesagt hat. Sie drehte sich um und nahm ihn ebenfalls in den Arm. So viel Zeit musste noch sein.
„Mach dir keine unnötigen Gedanken, Olivia. Du bist die Beste und von deinem Wissen werden eines Tages auch andere profitieren können. Also geh zu diesem Assessment und zeig denen, wer die ‚Queen‘ im Ring ist.“
Sie gab Martin noch einen letzten Kuss, bevor sie sich umdrehte und zur Türe ging.
„Und falls sich etwas ergeben sollte“, rief er Olivia hinterher, „dann möchte ich ein Bild davon haben.“
Olivia warf ihrem Mann noch eine Kusshand zu und schloss die Türe hinter sich, um mit ihrem Wagen noch rechtzeitig zum Flughafen München zu gelangen.

*****

Das Prozedere beim Check-in kannte Olivia im Schlaf und innert kürzester Zeit war sie mit ihrer Arbeitstasche und „dem BUKO“ (Beischlaf-Utensilien-Koffer) durch den Zoll. In ihrem Koffer hatte sie das nötigste für zwei Übernachtungen, wie aber auch Kleidung zum Wechseln eingepackt, weiß „Frau“ doch nie, wen sie abends an der Hotelbar trifft.
Kurze Zeit später saß sie an Bord einer A319-100, welche für den fünfzigminütigen Flug vorgesehen war. Es war ein seltsames Gefühl, das Flugzeug nicht selbst zu steuern und dann noch quasi in der Holzklasse zu reisen
Einigermaßen pünktlich startete das Flugzeug in München, um dann knapp vierzig Minuten später bereits in Zürich Kloten zu landen. Sie kannte den Anflug auf Zürich noch aus der Zeit, als sie mehrheitlich Kurzstrecken geflogen war. Ein absoluter Murks war das … zuerst alle Flieger auf Anflugkurs bringen, dann zum richtigen Zeitpunkt auf Pistenachse abdrehen und dann alle Flugzeuge wie auf der Perlenschnur aufgereiht auf Piste 14 einfliegen zu lassen, nur damit man möglichst wenig über deutsches Hoheitsgebiet fliegt!
Ein wenig in Gedanken über das Kommende versunken, realisierte Olivia das Andocken erst, als die ersten Passagiere aufstanden und ihr Handgepäck aus den Ablagen über den Sitzen holten. Langsam kam Olivia in die Gänge und sie verabschiedete sich noch vom Kabinenpersonal. Mit ihrem Gepäck ging sie durch das Fingerdock und stellte fest, dass sie fast zuhinterst im Dock A83 angekommen waren. Sie machte sich auf den Weg und hatte den Zoll schon nach kurzer Zeit passiert.
Olivia wurde bereits von einer Mitarbeiterin der nationalen Airline erwartet, die ein Schild mit Olivias Namen in der Hand hielt.
„Guten Tag Frau Andersson, willkommen in Zürich. Mein Name ist Valérie Supersaxo. Ich werde sie zuerst zu ihrem Hotel und danach zum Trainingscenter am Balsberg begleiten.“
Während des kurzen Fußweges von der Ankunftshalle zum Radisson Blu Hotel wurde Olivia kurz über den geplanten Ablauf im Trainingscenter informiert. Nach dem Check-in deponierte sie nur kurz ihren Koffer im Zimmer und war kurze Zeit später wieder in der Lobby bei ihrer Begleiterin. Zusammen gingen sie den kurzen Weg vom Hotel ins Parkhaus 6, wo ein Wagen der Airline für sie bereitstand.
Fünf Minuten später erreichten sie das Trainingscenter. Nach dem Aussteigen besah sich Olivia das Gebäude, welches die Ausbildungseinrichtungen der Schweizer Fluggesellschaft beherbergte. Zum ersten Mal war Olivia hier im „SAT CH“. Sie kannte nur die entsprechenden Ausbildungscenter ihrer Airline in München und Frankfurt, wo sie selbst schon viele Stunden in den Simulatoren verbracht hatte.
Nochmals kamen in Olivia Zweifel auf, ob sie für die kommende Aufgabe wirklich gerüstet war. Ihre weiteren Gedankengänge wurden durch ihre Begleiterin unterbrochen, welche sie bat, ihr ins Gebäude zu folgen. Da sie erwartet wurden, war die Anmeldung eher eine Formsache und kurz darauf hielt Olivia den benötigten Besucherbadge in der Hand. Frau Supersaxo führte sie durch einige Korridore und ein paar Treppen hoch bis zum Briefingraum, wo Olivia von Konrad Müller und seinem Team begrüßt wurde. Durch ein Fenster konnte Olivia in die Halle mit den Simulatoren blicken …

*****

Gebannt schaute Olivia zusammen mit dem Team auf die verschiedenen Monitore und Anzeigen im Kontrollraum. Seit gut drei Stunden waren sie jetzt dabei, die Piloten während ihrer Arbeit zu beobachten und das Verhalten im Störungsfall zu bewerten. Gerade jetzt war die Crew dabei, sich im „Full Flight Simulator“ einer Bombardier CSeries auf die geplante Landung in Zürich Kloten vorzubereiten.
Ruhig und konzentriert erledigten Kapitän Bernhard Ruckstuhl in seiner Funktion als „pilot flying“ und SFO (Senior First Officer) Laëtitia Bischoff als Co-Pilotin, ihre Aufgaben. Sie waren gerade kurz vor dem „Final approach“, also dem letzten Teil des Landeanflugs und die Co-Pilotin war in Verbindung mit dem Fluglotsen für diesen Abschnitt.
„Zürich Tower, Lima X-Ray One-Zero-Six-Niner, Allegra, ILS runway Two-Eight.”
Plötzlich ertönten akustische Warnsignale, rote und orange Warnlampe leuchteten auf. Nur noch wenige Sekunden trennte die Crew von der geplanten Landung. Co-Pilotin Bischoff beugte sich leicht nach vorne, drückte verschiedene Knöpfe ohne erkennbares Ergebnis.
Sie drehte ruckartig den Kopf nach links und rief: „Go-around, go-around, go-around!“

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