Länger hat sie nicht frei nehmen können- da ist ja noch ihr kleiner Sohn, und auch ihren viel beschäftigen Mann will sie nicht zu lange alleine lassen. Ich weiss, dass die beiden sich im Lauf ihrer Ehe körperlich entfremdet haben – aber sie liebt ihn nach wie vor und hat einen ausgeprägten Sinn für ihre Familie. Diesen Sinn soll Sabrina behalten, klar. Aber ich hoffe, dass sie hier in Berlin, weit weg von ihren Lieben, auch ein wenig die Abenteuerlust packt.
Ich selber habe zurzeit mal wieder keinen festen Job, und ich musste in Berlin ein paar vertragliche Dinge mit meinem Verlag regeln, der meine Kurzgeschichten publiziert und mich gelegentlich auch bezahlt – allerdings viel bescheidener, als ich mir das am Anfang vorgestellt hatte.
Wir lösen uns aus der Umarmung und strahlen uns an. Ich trage ein weisses knöchellanges Kleid mit einem etwas gewagten Ausschnitt… aber es ist ja Sommer. Hochsommer. Die Hitze hier knallt nur so runter, und der Asphalt und der Beton der Grossstadt reflektiert die Sonnenstrahlen. Darum fühle ich mich in weissen Kleidern am Wohlsten – sie ziehen die Hitze weniger an, bilde ich mir ein.
„Du bist bestimmt durstig, Sabrina“, sage ich als erstes zu ihr und wir begeben uns zur Rolltreppe. Ganz in der Nähe gibt es ein gemütliches kleines Café – danach werden wir in meine kleine Wohnung an der Hochkirchstrasse fahren – meine Besucherin will sich bestimmt erfrischen nach der langen Reise.
Wir setzen uns in eine ruhige Ecke, sippen an unseren Colas, und es ist genau so, wie man es oft lesen kann über Brieffreundinnen, die sich das erste Mal sehen. Während bei Sabrina und mir beim Briefverkehr die Worte nur so sprudeln, schweigen wir uns jetzt erst mal verlegen an – bis ich versuche, das Eis zu brechen und einen Stadtplan hervorhole. Sabrina ist gut gereist, sagt sie, und ich spüre ihre Freude, einmal ein paar Tage ohne Familie in einer ihr unbekannten Stadt zu verbringen, schon beinahe körperlich.
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