Was für eine Frau! Was für eine Seele! Was für ein Körper! Beim Einspuren musste Sven sich konzentrieren, danach liess er seine Gedanken wieder zu Vanessa schweifen, aber auch zu Leo, dem neu gewonnenen Freund. Die Zeit auf dem Hof hatte Sven gekräftigt und ihm Lebensfreude vermittelt, die er, nun wieder als gewöhnlicher Germanistik-Student, würde gebrauchen können. Nach stundenlanger Fahrt wurde ihm dann doch warm ums Herz, als er die Stadt Bern vor sich sah – mit ihren Brücken, dem Münster und den dunklen Fenstern, die sich in der Nacht im Mondlicht spiegelten. Er fuhr in die Brunngasse ein und parkte seine Honda. Liebevoll tätschelte er ihren Sattel. Das Motorrad war sein ganzer Stolz und hatte ihn schon durch die halbe Schweiz getragen. Sein Briefkasten quoll über, obwohl er doch die Nachbarin gebeten hatte, ihn gelegentlich zu leeren. Wenig später öffnete er den Kühlschrank, zischte sich ein Bier und fläzte sich erschöpft aufs Sofa. Die Brunngasse war Berns geheimnisvollste Gasse – man fand sie nicht sofort und nicht jeden Tag. Viele von Svens Kommilitoninnen und Kommilitonen, die ihn wegen der Wohnlage beneideten, hatten ihm bestätigt, dass die Brunngasse ab und zu unauffindbar ist – eines der vielen ungelüfteten Geheimnisse der Stadt Bern.
Ein paar Wochen später schrieb Sven Vanessa eine Mail. Zuunterst an der Brunngasse, seiner Wohnstrasse, befand sich der Club Venus. Einige Studentinnen verdienten dort ihr Geld – allerdings nicht mit klassischer Prostitution, sondern als Barkeeperinnen und Masseurinnen. Der Club Venus wurde nämlich von Frauen geführt, aber auch von Frauen betrieben. Sie hatten das Szepter fest in der Hand – es waren allesamt Frauen mit einem festen Beruf, mehrheitlich im Gesundheitswesen, wo sie aber derart schlecht bezahlt waren, dass sie sich im Club Venus ein Zubrot verdienten.
Männer als Gäste waren zwar willkommen, aber nur als Zuschauer.
Vanessa wird geliebt
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