Verirrt

III.

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Verirrt

Verirrt

Michael Müller

„Lass das!“ Herrschte der Alte den Jungen an.
„Sie soll etwas essen. Für alles Andere ist später Zeit genug“ fügte er dann noch hinzu.
Sie stand auf und wollte gehen.
„Bleib sitzen und iss“ kommandierte der Alte.
„Ich gehe“ antwortete sie und wandte sich zur Türe.
„Sperr’ die Tür ab“ befahl der Mann dem Jungen.
Der versperrte die Türe und zog den Schlüssel ab.
„Sie dürfen mich nicht festhalten“ sagte sie „ich werde jetzt gehen.“
„Wohin willst du bei diesem Wetter gehen?“ wollte der Alte wissen und löffelte weiter seinen Brei.
„Das geht sie nichts an. Ich werde jetzt meinen Rucksack nehmen, der vor der Türe steht und einfach weggehen“ sagte sie und versuchte überzeugend zu klingen. Der Regen hatte in der Zwischenzeit voll eingesetzt und der Wind heulte im Schornstein. Das Unwetter erschien ihr aber erträglicher, als eine Nacht mit den beiden Männern in deren Hütte zu verbringen.
„Hol’ den Rucksack rein“ forderte der Alte den Jungen auf. „Wenn den jemand vor unserer Türe sieht, gibt’s nur wieder blödes Gerede“ fügte er dann erklärend an.
„Kommen oft Leute vorbei?“ frug sie hoffnungsvoll.
„Fast nie“ sagte der Alte.
Der Junge hatte ihren Rucksack geholt und auf die Pritsche an der rechten Wand der Hütte geworfen. Die Türe versperrte er wieder.
„Setz dich und iss“ befahl ihr der Alte. „Griesbrei mit Ziegenmilch“ erklärte er.
Sie erkannte, dass jeder Fluchtversuch chancenlos sein würde. Sie setzte sich an den Tisch und begann den Brei zu löffeln.
„Der Junge ist schon in Ordnung“ begann der Alte. „Vor einigen Jahren, er war sechzehn, hatte er einen bösen Unfall. Beim Holzfällen erwischte ihn ein mächtiger Ast am Schädel und spaltete ihn. Die Ärzte haben ihm den Schädel wieder zusammengesetzt. Sein Hirn ist aber nicht ganz gesund geworden. Jetzt ist der Arme 28 und hat das Hirn eines vielleicht sechzehnjährigen. Und auch so eine Geilheit. Der Junge ist sogar hinter den Ziegen her! Ich bin immer froh, wenn sich ab und zu eine Touristin zu uns verirrt. Sonst könnte der Junge ja nie ordentlich vögeln.“
„Ich bin nicht hergekommen, um ihres Sohnes Geilheit zu befriedigen. Ich werde, sobald das Unwetter vorbei ist, aufbrechen. Sollte ihr Sohn auch nur einen Versuch wagen mich zu berühren, werde ich mich zur Wehr setzen!“ sagte sie sehr bestimmt.
„Und wie?“ wollte der Alte von ihr wissen. Er hatte sich auf seine Arme gestützt weit über den Tisch gebeugt. „Ihr Stadtzicken seit doch alle gleich. Daheim bumst ihr mit Jedem, der euch einmal etwas zu Trinken spendiert. Hier glaubt ihr euch als Heilige aufführen zu müssen! Was willst du denn machen? Schreien? Um dich schlagen? Glaub mir, das bringt dir alles nichts!
Iß brav deinen Brei und das weitere wird sicher leichter für dich, wenn du ruhig bleibst.“
Sie musste erkennen, dass der Alte Recht hatte.
Langsam aß sie. Der Junge stand bei der Türe und sah sie lächelnd an.
„Sie ist dünn“ sagte er nach einer Weile.
„Na und? Seit wann gefallen dir fette Weiber? Sie ist nicht dünn, schlank“ antwortete der Alte.
Sie fühlte sich, wie auf einem Sklavenmarkt beurteilt.

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