Einen Tag vor dem Termin hätte ich am liebsten alles abgesagt. Die Vorbereitungen für meine erste Vernissage hatten mich wochenlang in Anspruch genommen, und nun, da der Moment näher rückte, spürte ich eine Welle der Unsicherheit, die mich fast lähmte. Die Räume meiner guten Freundin, in denen die Ausstellung stattfinden sollte, waren hell und geräumig, mit hohen Decken und weißen Wänden, die perfekt für meine Gemälde geeignet schienen. Ich hatte Dutzende von Bildern aufgehängt, jedes sorgfältig positioniert, um das Licht optimal einzufangen. Doch je näher der Abend kam, desto stärker wurde das Lampenfieber. Meine Hände zitterten leicht, wenn ich an die Gäste dachte, die kommen würden – Freunde, Bekannte, vielleicht sogar potenzielle Käufer. Und dann war da noch diese Nachricht: Ein Lehrer von der Kunstakademie hatte zugesagt. Der Mann, der während meines Studiums nie mit mir zufrieden gewesen war. Immer hatte er meine Arbeiten seziert, hatte mir vorgeworfen, dass ich nicht tief genug in die Emotionen eintauchte, dass meine Bilder flach und uninspiriert wirkten. Ich konnte seine Worte noch hören: "Du gibst nicht alles, was in dir steckt." Es frustrierte mich, weil ich nie verstand, was er genau meinte. Hatte ich nicht stundenlang an jedem Pinselstrich gearbeitet? Hatte ich nicht versucht, die Essenz der Szenen einzufangen?
Am Abend der Vernissage war der Raum bereits gefüllt mit Gästen, als ich ankam. Das Murmeln der Gespräche mischte sich mit dem Klirren von Gläsern, und der Duft von Wein und kleinen Häppchen hing in der Luft. Ich trug ein schlichtes schwarzes Kleid, das bis zu den Knien reichte, und hatte mein Haar zu einem lockeren Knoten gebunden, um professionell zu wirken. Die Leute spazierten zwischen den Bildern umher, nickten anerkennend oder diskutierten leise. Doch mein Blick wanderte immer wieder zu ihm – dem Lehrer. Er lehnte an einem Pfeiler in der Mitte des Raums, die Arme verschränkt, und starrte auf eines meiner großformatigen Werke. Es war ein Akt, der ein Paar zeigte: Ein Mann und eine Frau, deren Kleider achtlos zu ihren Füßen lagen. Ihre Körper waren angespannt, die Blicke intensiv, als ob sie jeden Moment aufeinander losgehen würden. Ich hatte es als Studie der Vorfreude gemeint, der aufbauenden Spannung vor dem Akt. Aber er stand einfach da, stoisch, ohne ein Wort zu sagen. Nach einer Weile, als die Menge etwas dichter wurde, fasste ich mir ein Herz und ging auf ihn zu. Höflich streckte ich die Hand aus. "Guten Abend, Professor. Schön, dass Sie kommen konnten."
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