Via Internet ins Bett

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Via Internet ins Bett

Via Internet ins Bett

Patricia Lester

Wenn eine Beziehung von einem Tag zum anderen böse zu Ende geht, schlägt die Einsamkeit zu, gleichgültig und gnadenlos. So war es Claudia ergangen. Bernd hatte seine Sachen in einen Koffer gepackt, einen verkümmerten Kaktus auf der Fensterbank hatte er vergessen, dann waren alle Spuren von drei Jahren verschwunden gewesen. Die ersten Wochen und Monate hatte sie immer wieder in das Waschbecken gesehen. Aber da waren keine schwarzen Haare, über die sich hätte aufregen können. Die Handtücher hingen ordentlich am Haken. Es war einfach grauenhaft. Nur die Arbeit gab ihr Halt.
"Clodinchen, du solltest Urlaub machen", sagte eines Tages Wolfgang, ihr engster Freund. "Du siehst entsetzlich aus. Du solltest die Männer nicht so ernst nehmen." Es klang beinahe liebevoll. "Auf jeden Fall brauchst du Ablenkung. Geh doch mal ins Internet. Surfe und quatsche mit anderen Menschen. Das macht Spaß."
Natürlich wusste Claudia, was das war. An einem Computer ging nun mal kein Weg vorbei, doch zu Hause benützte sie ihn nur, um Entwürfe für ihre Arbeit vorzubereiten. Nach einer Woche, dank Wolfgangs Hilfe, war sie zu einem "User" geworden, der sich einem "Provider" auslieferte, und nach einer weiteren Woche war sie süchtig.
Anfangs schüchtern, tastete sie sich durch die verschiedenen Möglichkeiten, bis sie sich jeden Abend mutig bei den Klatsch- und Flirträumen anmeldete und anfing, mit wildfremden Menschen zu reden. Natürlich war es nicht mit einem persönlichen Gespräch zu vergleichen. Da wurden Telegramme unter den merkwürdigsten Namen verschickt, sie selbst hatte sich Roselady genannt, und mit einem Mal erhielt sie Post. Es kamen neugierige Reaktionen, manchmal auch peinliche oder fast obszöne. Aber es war aufregend, und so ein Abend verging sehr schnell, bis Claudia müde wurde und mit einem letzten Gedanken an Bernd einschlief.
"Hast du ein Pic", hatte sie eines Tags in ihrer "Mail box". Allmählich lernte sie die neue Sprache. Das war ein Foto, dass man herunterladen musste. Was sie sah, war toll. Ein Segelschiff mit einem braun gebrannten Mann darauf, der sie bat, zu antworten. Auch mit Bild. Wieder war ihr Wolfgang behilflich, der ihr sagte, was sie tun müsse, um auch im Internet ihr eigenes Foto verschicken zu können. Sie probierte es aus, und sie erhielt immer mehr Bilder und Telegramme. Manchmal kam sich Claudia wie ein Voyeurin vor, die fremde Männer in einer Galerie vereinigte, ansah und sich Träume ausmalte. Dann war da plötzlich ein Gesicht, schmal mit markanten Wangenknochen. Dieser Mann hieß Bernd. Und von Männern dieses Namens hatte sie genug. Sie schaltete den Rechner aus. Doch als sie nicht einschlafen konnte, lud sie sich nochmals das Bild, und es gefiel ihr immer besser. Etwas lenkte sie, was nicht sie selbst war, sie steckte die Diskette in das Laufwerk und schickte diesem "Verve", wie er sich nannte, ihr eigenes Foto.
Am nächsten Morgen fand sie eine Mail vor: "Wann können wir uns sehen? Du faszinierst mich. Hast du am Donnerstag Zeit?"
Sie hatte und zog sich gerade einen eleganten Hosenanzug an, als das Telefon läutete.
"Mutter, ich habe keine Zeit, ich treffe mich mit einem potenziellen Chat-Lover."
Claudia spürte förmlich in dem Schweigen die Dutzend Fragezeichen.
"Sorry, Mami, ich bin schon spät. Ich rufe dich morgen an und erkläre dir alles."
Bernd stand pünktlich an der Ecke und fuhr mit Claudia in einen nahe gelegenen Biergarten. Anfangs sprachen sie vorsichtig und hielten sich an Themen, die unverfänglich waren und ein weites Feld boten: Computer, Festplatte, Internet, da kannte er sich aus, und Claudia konnte Stichwörter einfließen lassen, die sie als Profi auszeichneten, auch wenn sie das beileibe nicht war. Als es dunkel wurde, bat sie ihn, sie nach Hause zu bringen. Im Auto drückte sie ihm die Hand und ging in ihre Wohnung. Sie schlüpfte gerade aus ihren Schuhen, als das Telefon läutete.
"Hi, ich bin es. Du warst so schnell verschwunden. Ich wollte dich noch einmal im Arm halten."
"Dann komm rauf und hole es nach." Woher Claudia den Mut nahm, wusste sie nicht. Als Bernd dann vor ihr stand, sagte sie nur:
"Lass uns noch ein wenig auf der Terrasse sitzen und die letzte Wärme genießen."
Dort hatten sie andere Gesprächsthemen als Computer. Auf einmal erzählte er von sich, seiner Ehe und seinem Sohn, und Claudia kam sich wie in einem Beichtstuhl vor. Natürlich konnten solch gut aussehende Männer in dem Alter nur verheiratet sein, und wenn sie es auf ein Abenteuer anlegten, war die Beziehung zur Ehefrau immer kaputt und hielt nur notdürftig wegen der Kinder. Es war das alte Lied. Nur dieses war neu, weil Bernd sie mit Augen ansah, die anderes sagten. Nach einer halben Stunde brachte sie ihn zur Tür. Er nahm sie in Arme und flüsterte Worte, die sie lange nicht mehr gehört hatte. Er streichelte sie und atmete ihren Duft. Er fühlte sich gut an, und Claudia spürte ihr Herz in einem verrückten Rhythmus klopfen. Sie schlief lange nicht ein.
Am nächsten Morgen fand sie eine Mail vor, die sie bezauberte. Bernd beschrieb ihren Körper mit unglaublichen Worten und sprach davon, was er sich erhoffte, dass sie ihn in eine Welt entführen möge, die er seit langem vermisse. Bis zum Abend ließ sie sich mit der Antwort Zeit. "Danke, deine Worte sind wie ein warmes Bad, und ich möchte dich bald wiedersehen." Ein paar Stunden später kam von Verve Post für Roselady: "Kann ich dich am Dienstag treffen? Ich vermisse dich." Natürlich konnte er, und Claudia wollte. Sie gab ihm ihre Privatnummer mit einer kurzen Botschaft: "Ich freue mich auf dich."
Das war am Sonntag. Der Montag ging ins Land, der Dienstag, und eine weitere Woche. Weder rief Bernd an, noch schrieb er eine Mail. Und auch das Handy war außer Betrieb. Als ihre Mutter sich nach ihren "Netzgeliebten" erkundigte, antwortete sie verschnupft und verlegen, dass ihr Rechner zusammengebrochen sei. Das war gelogen, aber in ihrem Innern war etwas kaputtgegangen. Auch wenn das lächerlich war, außer einer Umarmung und einem Kuss hatte es nichts gegeben, vielleicht war das der Reiz jenes Sommerabends gewesen. Nach zwei Offline-Wochen, in denen Claudia sich nur in ihre Arbeit vergrub und an der Welt, vor allem an der der Männer und ihrer glühenden Zusagen zweifelte, die nicht mehr als Seifenblasen waren, begab sie sich wieder in das verführerische Internet. Ein paar neue Kandidaten tauchten auf. Ein besserer Ausdruck fiel ihr nicht ein. Mit zwei von ihnen verabredete sie sich. Ihre Mutter meinte, als sie von diesen Rendezvous erfuhr, dass auf diese Weise bald die Arbeit von Heiratsinstituten eine brotlose Kunst würde. Als Claudia ihre Dates absolviert hatte, war ihr klar, dass weder Ehevermittler noch Internetkontakte jemals das lang ersehnte Glück brachten. Jürgen war ein gelernter Doktor der Physik. Auf seiner Stirn blühte ein merkwürdiger Pickel, seinen Mund verbarg er hinter einem stoppeligen Bart, und außerdem zahlte er noch nicht einmal ihre zwei Schorle für schlappe zehn Mark. Als Claudia nach einer Anstandsstunde, die sie mit ihren kärglichen Computerkenntnissen über die Runde brachte, in ein Taxi stieg, drückte er ihr einen feuchten Kuss auf die Wange, sie hatte gerade noch ihr Gesicht zur Seite drehen können, murmelte etwas von teuren Fortbewegungsmitteln und stieg auf sein Fahrrad. Der nächste "Chat-Lover" entpuppte sich als ausgesprochen attraktiver Mann, der sogar ein wenig mehr als Bits und Bytes im Kopf hatte. Er spendierte ihr einen Prosecco, einen Krabbensalat, und der Abend verlief angenehm in einem Lokal, in dem wehmütige Musik spielte. Beim Abschied, Claudia saß in ihrem Auto und erhielt einen zarten Kuss auf die Stirn, ließ er den Hammer los:
"Du bist eine tolle Frau. Ich würde dich gern wiedersehen. Aber nur unter der Woche, da ich am Wochenende meine Freundin bedienen muss."
Claudia hatte elektrische Fensterheber. Sie fluchte, lachte aber noch zwei Häuserblocks weiter über seine Schmerzensschreie, als seine Finger hilflos eingeklemmt waren. An diesem Tag schwor sie: Endgültig Schluss mit dem Internet.
Zwei Wochen später war Verve online. Sie hatte ihn gespeichert. So konnte sie jederzeit sehen, welcher ihrer Chat-Freunde im Internet war. Ihr Herz klopfte, sie wollte den Rechner abstellen, aber die Neugier war zu groß, und auch ihre Enttäuschung.
"Hallo, Bernd", schrieb sie. "Du lebst also noch. Ich hatte dich schon in die Schublade der Verbalerotiker gesteckt."
"Claudia, meine Rose, bitte nicht mehr böse sein. Ich hatte eine ganz schlimme Zeit."
Und als er ihr dann schrieb, was alles geschehen war, meinte sie, ihn vor sich zu sehen und seine warme, dunkle Stimme zu hören.
"Du musst mir glauben, meine Frau wurde krank, und mein Sohn hatte einen Autounfall, und in der Firma ist mir ein Riesenauftrag durch die Lappen gegangen. Vor lauter schlechtem Gewissen traute ich mich nicht mehr, dich anzurufen."
"Und dein Handy war auch kaputt, oder hast du die Rechnung nicht bezahlt?" So schnell wollte sie nicht nachgeben, obwohl ihr Herz schon wieder unvernünftig hämmerte.
Als sie eine Stunde später ins Bett ging mit Bernds festem Versprechen, sie morgen Abend zu treffen, las sie, was er ihr geschrieben hatte. Sie schloss die Augen, ließ ihre Gedanken treiben und erlebte es.
Als sie die Tür öffnete, hielt er einen winzigen Strauß Veilchen in der Hand, in der anderen eine Flasche Wein. Claudia hatte vergessen, welch verheerende Wirkung Bernds Augen auf sie hatten. Ein Dichter hätte sie als Bergsee bezeichnet, der in der untergehenden Sonne tiefblaue Strahlen versandte. Am liebsten hätte sie sein Gesicht in ihre Hände genommen und es gestreichelt. Noch zögerte sie, als Bernd die Blumen und die Flasche auf den Boden stellte und sie umarmte, mit zarten Fingern ihre Lippen nachzeichnete, sanfte Bögen über ihre Stirn malte und ihren anfänglichen Widerstand in einem nie endenden wollenden Kuss erstickte.
"Die Blumen", keuchte Claudia, als beiden die Luft ausging.
"Was war ich doch für ein Idiot, dabei habe ich fast jede Minute an dich gedacht." Sie sprachen gleichzeitig.
"Schwindler", sagte sie.
Als die Blumen und Gläser auf dem Tisch standen, eine Kuschelrock-CD spielte und auch das unvermeidliche Kerzenlicht zum Stimmungsweichmacher beitrug, da war beinahe alles so wie am ersten Abend. Bernd hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt, seine Hand verirrte sich ab und an zaghaft in den Ausschnitt ihres Pullovers, entglitt ihm, als sei sie ertappt worden. Es war furchtbar romantisch. Doch als Bernd sie nach ihren Erlebnissen im Internet fragte, log sie.
"Ich hatte keine Lust mehr nach der Enttäuschung mit einem gewissen Bernd. Er hat unwahrscheinlich blaue Augen. Kennst du ihn?"
"Früher, aber den gibt es jetzt nicht mehr. Jetzt ist nur noch ein Bernd da, der sich in eine tolle Frau verliebt hat, die er gerade in den Armen hält und nie mehr loslassen will."
Das tat er bis zum frühen Morgen. Sie ertasteten ihre Körper, liebten sich und ließen sich durch jede Umarmung neu verführen. Einmal, während beide zum Höhepunkt gelangten, klammerte sich Bernd an sie und flüsterte: "Ich bin verrückt, aber ich gehöre nur noch dir, meine Rose." Und Claudia glaubte es, weil diese Nacht ihnen gehörte, Welt und Zeit bedeutungslos und nur sie auf dieser Insel des Glücks wichtig waren. Als sich die erste Dämmerung ins Zimmer schlich, schliefen beide ein und hielten sich fest, als könnte der Alltag sie aus ihrem Paradies vertreiben.
Aus der Ferne steuerte ein Schiff auf die Insel zu und ließ die Glocke läuten. Es hatte die Liebenden entdeckt. Claudia streckte den Arm aus. Das Bett neben ihr war leer. Der Wecker schrillte.

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