Nacht. Endlich Nacht.
Die Gier in mir wuchs, ließ heißes Begehren durch meine Adern fließen. Ein immerwährender Rhythmus – seit Jahrzehnten und Jahrhunderten. Der Tag hatte sein Licht verloren, als die Nacht zu meinem Begleiter wurde. Eine Freundin, Gefährtin. Stets auf meiner Seite. Verbergend, was ich tat und das Drama meiner Existenz verhüllend. Einzig der silbern-weiße Schimmer des Mondes begleitete noch meine Wege. Riss Schemen aus dem Dunkel, welches meine Augen so mühelos durchdringen konnte und zeigte mir die Farben der Welt. Nicht nur das Grau der Nacht, sondern auch das Rot, Blau und Gelb. Draußen, vor den Mauern des Schlosses. Dort, wo die Menschen in ihren neu geschaffenen Refugien lebten. So anders als jene, welche ich noch kannte. Keine einfachen Städte mehr mit einem Schankwirt, dem Kramladen und einem Büttel. Keine einfachen Gehöfte mit Pflugscharen und Ochsenkarren. Die Welt hatte sich gewandelt. So viel war anders geworden. Nur ich selbst war noch immer jene Frau, welche einst den Kuss der Unsterblichkeit erhielt. Unfähig, zu begreifen was vor den Toren des Schlosses geschah und unfähig auch, den Wandel zu vollziehen. Eine Gefangene meines Selbst. Ein Schatten jener Lady, welche ich hätte sein können. Ein unseliges Wesen. Verflucht. Von Ewigkeit zu Ewigkeit, von Millennium zu Millennium und von Tag zu Tag.
Das Jahr 1384. Philipp der 2te von Burgund erbte Flandern.
In Europa begann die schlimmste Pestepidemie der Geschichte.
Ich traf Jean auf einem Empfang meines Vaters, gab mich seinen Lockungen hin und erhielt noch in der ersten Nacht den Kuss der Unsterblichkeit. Verführt mit süßen Versprechen, einer Ahnung der Stärke seiner Lenden und ohne das Wissen um den Schrecken der Unsterblichkeit sank ich nieder, ihn voll Sehnsucht erwartend. Die erwachende Begierde der jungen Frau, der süße Duft des Verbotenen. Dinge, die Jean leichtes Spiel gaben und mich zu einem Geschöpf der Nacht machten. Als er ging, blieb ich zurück. Hin und her gerissen zwischen dem Leben, welche mir noch Anhaftete und meiner neuen Existenz. Nackt, unsterblich und doch sterbend blieb ich liegen, während er ging. Er zerstörte die Liebe und Sehnsucht in mir und machte deutlich, wie wenig ich ihm bedeutet hatte. Nicht mehr, als ein Schluck Wein auf der Feier.
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