Warum so traurig?

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Warum so traurig?

Warum so traurig?

Marian Fanez

Warum so traurig? Verzweifelt etwa? Komm schon! Hab’ etwas Mut! Der Regen ist vorbei. Ein paar helle Sonnenflecken liegen auf dem Weg und ein Regenwürmchen ringelt sich im Licht. Die Bank ist noch etwas feucht, es ist aber nicht kalt. Scheiße. Kacke. Dreck. Red dir doch nichts ein. Die Welt ist in Ordnung, aber deine Welt ist Chaos, kaputt. Lüg doch nicht! Du schaffst es nicht, du schaffst es nicht, du schaffst gar nichts. Du wirst immer das Falsche tun. Dumpf und träge, weiter und weiter bergab, tiefer, tiefer, tiefer. Kein Ast, keine Hand, du musst dich schon an den eigenen Haaren herausziehen, wie Münchhausen, der Lügner.
Siehst du? Die Sonnenflecken sind weg. Wolken ziehen auf.
Doch möchte ich es nicht glauben.
Schon mal ganz nett, sich selbst zu bemitleiden, was? Ein wenig stolz auf sein eigenes Unglück kräftig in der Wunde rühren, dass sie sich ja nicht schließt? Die Gefühle breit und platt zu walzen, durchzukauen und auszukotzen? Ach, wie unverstanden! Oh, wie ungerecht!
Aber die Gefühle kommen ungefragt, habe nicht gedacht, so heftig. Ich flüchte, scheuche sie weg, aber sie kommen wieder und wieder, ein ewiger Krampf, solange ich Fanny kenne. Diese Woche wäre vielleicht ganz gut gelaufen ohne Brecht. Was sucht sie auch ausgerechnet im Theater? Sie hasst doch Brecht. Verfluchtes nicht-weg-sehen, nicht-weg-denken-können.
Fanny.
Du bist die Karotte vorm Maul des Esels, dass er den Karren zieht. Meine Chance, zum Greifen nah, die sich nicht greifen lässt. Belebst meinen Traum und zerstörst ihn mit dem selben Lächeln.
Mein Herz bläht sich auf wie ein Spatz im Winter. Doch was kannst du dafür? Soll ich dem Himmel fluchen, dass er blau, dem Schnee, dass er kalt ist? Trotzdem: Meine Wut war echt. Der arme Andreas. So hab’ ich mich gerächt, dass ich unglücklich bin. Verzeih mir. Niemand hat wirklich Schuld, das ist das Schlimme. Meine Wut, sie sitzt mir zwischen den Rippen wie ein Tier im Käfig. Mein grausliches Liebes-Monster. Immer will es raus, aber ich halte es gut verschlossen, und wenn es denn mal um sich beißt, tut es normalerweise nur mir selber weh.
Er hätte sich ja nicht so aufplustern müssen: Was willst’n hier? Is jetzt meine Freundin. Siehst de nich: Küsschen, Küsschen. Weg, weg! Ich, ich!
So’n Arsch.
Tschuldigung.
Oder auch nicht Tschuldigung. Bitte lies trotzdem weiter.
Ach, wie-was sag ich bloß? Wie toll ich bin? Dieses kuriose Stück Mensch attraktivieren, in seinen Vorzügen preisen? "Schauen Sie her, werte Dame, schauen Sie nur herein! Immer heranspaziert, das haben Sie noch nicht gesehen, so was gibt’s nicht wieder, greeeeifen Sie zu, greeeeifen Sie zu. Kommen Sie, kommen Sie. Schauen Sie, was da nicht alles dranhängt: Hier ein Stückchen Wahrheit, dort ein bisschen Schmerz, hier, neben den buntschimmernden Träumen und kitschigen Illusionen auch eine stabile Portion Realismus und hier unten, ja sehen Sie nur, hier haben wir auch noch etwas originären Willen. Klopfen Sie ruhig mal dagegen. Horchen Sie mal. Das klingt. Das bricht nicht so leicht, das geht nicht so leicht kaputt. Und hier! Schauen Sie mal, wenn Sie hier diese Lappen von Trägheit und Faulheit mal beiseite schieben, was darunter schön golden hervorschimmert: Ein echtes Fleckchen strapazierfähigen Humors, so gut wie neu, fast gar nicht abgenutzt. Und über den Preis machen Sie sich mal keine Sorgen, Sie sind ja so reich. Zudem können Sie in nächtlichen Raten zahlen. Lassen Sie sich die Gelegenheit nicht entgehen. So eine reizende Menschseele. Und das Beste habe ich Ihnen ja noch gar nicht gezeigt. Schauen Sie doch nur mal hier, schauen Sie, hier unten,..."
Ja, ich weiß: billiger rhethorischer Budenzauber. Nur dein Zauber, der ist irgendwie echt.
Nein, ich kann mich nicht preisen. Kann nur Scheißen. Ach Fanny, das ist mir jetzt so rausgerutscht, das hättest du jetzt besser nicht gelesen. Lies lieber weiter.
Dein Bild ist in den Schacht meiner Seele gefallen und treibt nun auf der Oberfläche dieses dunkelgrünen Tümpels, als hätt’ eine Prinzessin ihr Antlitz im Wasser geschaut und es beim Weggehen dort vergessen.
Ach, Fanny, Fanny. Hexe! Der fette Herzenswurm wird immer gefräßiger. Rosen pieksen, sind dennoch Rosen, und dein Duft ist immer um mich. Zum Glück habe ich noch deine Pantoffeln, die ich zum Abschied behalten habe. Ich umarme sie manchmal und drücke sie und küsse sie, und manchmal fällt auch ein Tränchen drauf.
"...flupp...", fliegt der Brief in den Papierkorb.
Die lacht dich doch aus. Muss dich ja für völlig bekloppt halten. Durchgeknallter psycho-Exhibitionist. Aufdringlich-ungefragter Seelenselbstverstümmler. Theatralisch - gefallsüchtiger Ich-Sezierer. Wimmernder Sülz-Barde. Bisschen mehr Macho bitte! So geht das doch nicht.
Feigling! Feigling! Trau dich! Trau dich!
"Hallo? ........ Was?- Ach! - Na, das ist ja eine Überraschung! ........gut, prima. Und dir?........ Was? .......neee..... na, so ein Idiot.......ja.....also so ein Blödmann. Und du?....... Ach so......... Äh- ja, ja, natürlich! ................Ja, ja......hmmhm.......... ja, ja sicher!......... Nein, nein, auf keinen Fall, ich freue mich, freue mich sehr!............. Ja gern...ja ...ja...Nein, nein, ich habe nichts vor..... doch, das geht schon klar. Was? ...ähm....... nein, nein, ich sage doch, das geht schon....... ja, ... ja wunderbar.........doch, ich freue mich, find ich toll... ja.......ja, auf jeden Fall... gut... geht in Ordnung.......... Okay. Halb acht. Ja, ja.........Ja, tschüss! .... Ja... bis nachher!"
"Ja, hallo, ich bin’s.......nein... deswegen ruf ich nicht an....... nein, ich wollte absagen für heute Abend..... was?...... äh, nein, mir ist was dazwischengekommen....... nein Klaus, ich kann wirklich nicht....... ja, tut mir echt leid..... wenn du meinst..........nein, echt nicht......hmmmhm........ äh...... na, nun übertreib mal nicht..... okay... gut...... meinetwegen...... nein, auf keinen Fall...... ja, kann ich nun auch nicht mehr ändern....... ja, von mir aus...... bitte, ist mir jetzt auch egal........ja, tschüss."
Kotti - Alexanderplatz - Fünf Euro für die Musik. Bitte, bitte. Heute gern. - Eberswalder Straße. Und raus. Na, dann wollen wir mal. Wollen doch mal sehen.
Hier ist es: Klingelingeling. Schon hechelt die Tröster-Spezialeinheit die Treppe hinauf. Vierter Stock. Hallo Schnuckel! Bett schon vorgewärmt? Champangner rausgestellt? Was denn, nackicht unterm Hemd? Strapse? Oh-hoo - Na, sowas!
"Klopf - klopf."
"Hallo Sascha, komm rein." - "Hallo. Schön, dich zu sehen!" - "Ja, ich freue mich auch. Ist eine Weile her." Küsschen rechts, Küsschen links. "Komm, wir setzen uns in die Küche. Sieht ein bisschen chaotisch aus hier, schau bitte nicht so genau hin. Am besten, du hängst die Jacke über den Stuhl." - "Hübsch hast du es hier. Schöne Wohnung. Toll, die Dielen. Und so eine große Küche. Hätte eine ganze Familie Platz. Ist ja riesig." - "Ja. Stinkt jetzt nur nach Bratfett. Habe mir gerade Buletten gemacht. Willst du auch was? Ist noch was übrig." - "Nein, danke, ich habe schon gegessen." - "Möchtest du etwas trinken? Saft? Tee? Ich kann dir auch einen Kaffee machen." - "Champangner will ich!" - "Witzbold. Mir ist gerade nicht nach feiern." - "Okay, okay, einen Kaffe dann bitte." Blaue, hochgekrempelte Jeans, das Hemd halb aus der Hose, die Haare ungekämmt, auf der Spüle türmt sich der Abwasch. Eine Zigarette im Mund kramt sie aus einem Schrank den Kaffe heraus, schüttet ihn grob geschätzt in den Filter. Die Hose hat rissige Locher und in Sandalen stecken ihre nackten Füßchen, die kleinen Zehen alle gut sichtbar, bis über den Knöchel ist ihr Bein entdeckt.
"Ja, ist wirklich eine schöne Wohnung. Aber jetzt, wo Andreas ausgezogen ist, werde ich sie nicht mehr halten können. Für mich allein ist sie einfach zu teuer. Schade. Aber es geht wohl nicht anders. Zucker? Milch?" - "Danke, nur schwarz." Sie schenkt ein und setzt sich gegenüber, stützt die Ellenbogen auf den Tisch, die glatt und weiß aus dem Hemd herausragen. Ihre schönen Streichelfinger legt sie auf den Oberarm, greift weich in den gelben Stoff. "Und wenn du dir einen neuen Mitbewohner suchst? Oder mal eine Mitbewohnerin?" - "Ach weißt du, ich möchte jetzt lieber eine Weile allein sein. Ich kann jetzt niemanden um mich haben. Eine Portion Andreas reicht erst einmal für die nächsten paar Monate." Siehste! Blödkopp! Trauriger Irrer. "Ja, das glaube ich. Kann ich verstehen." - Hübsch Männchen machen. Rote Haare hat sie, flammich. - "Du willst erst einmal ein bisschen Ruhe haben, ein bisschen Zeit für dich selbst. Ist doch klar. Bist du sehr traurig?"
Unterm Tisch schiebt sich vorsichtig der Fuß vor, bis er ihren großen Zeh sacht berührt. Sie zieht ihn nicht weg, redet einfach weiter. "Ach, das Schlimmste habe ich schon hinter mir. Wir sind eigentlich schon länger nicht mehr zusammen, die heftigsten Streitereien sind vorbei. Zum Schluss haben wir uns verhältnismäßig gut arrangiert." - Niedlich nippen rote Lippen am Blümchentässchenrand. - "Nur als er vorgestern ausgezogen ist, da habe ich mich doch noch richtig elend gefühlt. Das war furchtbar. Als die Wohnung plötzlich halb leer war. Da hab’ ich noch einmal geheult. Aber heute geht es wieder." Den obersten Hemdknopf hat sie offen, ihr Hals, ihr wunder-wunderschöner Hals ist seufzig sichtbar.
"Sei froh, dass du ihn los bist, den Blödarsch." Ups? War das nun klug? Erst guckt die Fanny - hä? - guckt dich an, zieht den Kopf zurück, die Schultern hoch. Dann aber Grinsen. "Stimmt. Dieser Mistkerl!" - "So ein Affe!" - "Widerling!" - "Schwachkopf!" - "Egozentrischer, egomanischer Superignorant." Schon besser. Ihre Augen funkeln, die Wangen röteln süß. Gut, gut. "Ich mochte ihn ja nie so richtig. Na ja, ich war ja noch ganz schön auf dich versessen. Da konnten wir auch kaum Freunde werden." - "Ach was, du hattest schon recht. Ich bin einfach völlig blind gewesen. War halt verliebt, da sieht man halt nicht richtig hin. Am Anfang war’s ja auch schön. Aber im Grunde wollte er mich doch einfach nur vögeln. Das hab’ ich inzwischen kapiert. Das hübsche Vorzeige-Mädchen ficken, und noch damit angeben. Wer ich eigentlich bin, meine ganze Persönlichkeit, meine inneren Werte, was ich will, was ich denke, was ich fühle, das hat ihn im Grunde nie wirklich interessiert. Scheißkerl." - Bums - klumpt die Tasse auf den Tisch. - Huh: ihr spitzes Näschen! - "Ja, so sind nun mal leider die meisten Männer. Das ist schon blöd, ganz schön traurig. Könnte ich noch einen Kaffee bekommen?" - "Na, klar." Und sie steht auf und dreht sich und da, da siehst du sie kurz von der Seite, siehst ihre Brüste ragen, prägende Spitzen - zack - in dein Hirn gepresst.
"Willst du mir nicht mal die Wohnung zeigen?" - "Na, wie gesagt, es sieht ein bisschen Chaotisch aus. Unaufgeräumt. Ach, egal. Komm mit." Die Sandalen hat sie ausgezogen, barfuß läuft sie über das Holz, von hinten jetzt ihr Hals zu sehen, fein die Wirbel in der Mitte bis zum hochgebundenen Haar. "Das ist Andreas Arbeitszimmer. Jetzt wo es leer ist, sieht es viel größer aus. Hat immer alles ganz schön vollgestellt. Beim Umzug hat er mir einen Eimer mit Müll stehen lassen. Typisch." Das gelbe Hemd ist nun ganz aus der Hose, hängt lose über ihrem runden Patsche-Po. "Und hier unser Schlafzimmer. Das Doppelbett hatten wir uns damals neu gekauft. Da kann ich mich jetzt quer reinlegen." - "Hm - Tjaja."
"Also tschüss! Danke für den schönen Abend." - "Ja, ich danke. Ich fand es auch sehr schön." - "Lass uns bald mal wieder treffen." - "Ja, auf jeden Fall." - "Na denn. Bis bald." - "Ja, bis bald." Rot gestrichen sind die Türen im weißen Treppenhaus. Und rot fällt die Tür zu. Ja, war wirklich schön.
Und es hat ihr doch gefallen. Sie hat gesagt, sie fand es schön, dass du da warst. Froh ist sie, so einen guten Freund zu haben. Ist doch schön.
Na und? Was hast du erwartet? Dass sie schon breitbeinig auf dem Küchentisch liegt? Mit Honig in der Muschie?
Besser nichts überstürzen. Siehst sie jetzt ja wieder öfter. Da kommst ihr langsam wieder näher. Bestimmt. Sie ruft bald an. Sicher.
Feigling. Feigling.
Wer wohnt denn hier? Katzengerber? Wie kann man denn so heißen. Lauter Bekloppte. Noch zwei Treppen.
Lieber leiden, hä? Märtyrer der Liebe, oder was? Flaggelant der Seele! Oh-ho!
Ute Gentz. Wie Gans. Hä! Was? Heinz Heidenreich? Gottgütiger!
Nett war es. Sie fand es sehr nett. Geh doch morgen schwimmen. Warst lange nicht mehr im Schwimmbad. Ob Klaus noch sauer ist? Nett. Und schön. Nett, nett, nett. Schön. Iiiiiih - wie fieselt das hier draußen. Dunkel ist es. Da oben, das leuchtend Fenster ist ihres.
Ach, Scheiße, verflucht! Schwupp - schwupp - die Treppen hinauf - hechel - hechel - "Klopf-klopf-klopf-klopf-klopf-klopf-klopf..." "...hhhh - h - hhhh - h - hhhhh..." - "Nanu? Sascha?"- "...hhhh - Fanny- hhh - ich - hhh- ich..." - "Na, komm erst mal rein." Rein geht’s. "Setz dich. Ich mache dir noch einen Kaffee. Beruhige dich erstmal." Wieder kramt sie den Kaffee aus dem Schrank, ihr Rücken: schön, in halb heimliches Gelb gehüllt, sie fummelt und macht und wurschtelt vor der Ablage und dreht sich endlich um, die dampfende Tasse in der Hand, das Hemd aufgeknöpft, die Brüste hervorragend nackt, setzt sich auf den Stuhl gegenüber und schiebt den Kaffee über den Tisch. Dann lehnt sie sich zurück, hebt die Arme und verschränkt die Hände hinter ihrem Kopf, so dass ihre fruchtigen Äpfelchen sich dem Auge freudig entgegenrecken.
"So, und nun sag noch mal, was du mir gerade sagen wolltest."

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