Da sitze ich nun. So wie jedes Jahr. Vergoldeter Stuck glänzt an den Wänden des großen Saals, prachtvolle Fresken an der Decke dokumentieren die verblichene Macht der Habsburger. Kristallene Luster über mir tauchen alles in eine funkelnde Atmosphäre. Die Wiener Hofburg bildet einen feierlichen, aber auch altmodischen Rahmen für die Weihnachtsfeier des traditionsgeschwängerten Konzerns, in dessen Diensten ich stehe. Aber: weit über tausend Mitarbeiter sind geflasht von Pracht, Prunk und Pomp dieses historischen Ambientes.
Durchwegs hübsche Menschen haben sich an unserem Tisch platziert. Die Damen wie immer aufgebrezelt und zum Anbeißen, die Herren in dunklen Anzügen oder Smokings. Im Hintergrund erklingt vorweihnachtliche, klassische Musik. Der erste Gang, kredenzt vom besten Caterer des Landes, war ein Gedicht. Es wird gequatscht und gelacht. Eigentlich ist alles so wie immer. Aber diese Weihnachtsfeier dürfte für mich dann doch etwas anders verlaufen.
Mein Smartphone macht sich in meiner Brusttasche bemerkbar. Pünktlich um zwanzig Uhr, wie abgemacht. „Bin gut angekommen“, schreibt Tina, meine Frau. Dazu schickt sie ein Selfie und ich meine, in ihrem Gesicht nicht nur das gewohnte Strahlen, sondern auch eine gewisse Vorfreude und … sagen wir ‚Abenteuerlust‘ erkennen zu können.
Ich kommentiere kurz und knapp mit einem Daumen-hoch-Smiley und lasse das Handy wieder in meiner Brusttasche verschwinden. Auf der Bühne marschieren die üblichen Verdächtigen auf. Ich weiß genau was jetzt kommt. Schließlich hab ich das ganze Theater bereits über zwanzig Mal miterlebt. Oder besser gesagt: überlebt.
Der Vorstandsvorsitzende serviert das komplette Buffet an Management-Phrasen, keine Plattitüde wird ausgelassen, um den Mitarbeitern wieder ausreichend Motivation in den Hintern zu blasen. Am Nebentisch spielt man Phrasen-Bingo. Jedes Mal bei ‚Familie‘ oder ‚Teamgeist‘ wird angestoßen. Das wird wohl ein alkoholgeschwängerter Abend an diesem Tisch.
Ich gähne diskret in mein Weinglas. Mia zu meiner Linken – äußerst attraktiv, äußerst sexy gekleidet und offensichtlich erst seit Kurzem im Unternehmen – bemerkt es und ihr Grinsen verrät mir, dass sie genau weiß, dass mich der ganze Zirkus hier mehr als nur langweilt und ich nur so lange hier ausharren werde, wie nötig.
Weihnachtsfeier
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