Fielen Aufzeichnungen etwa der Polizei in die Hände, wäre sie wohl in verschiedenen Fällen rasch eingeschritten. Einwegspiegel hingegen hatten etwas Charmantes, sie waren ein historisches Relikt aus dem 20. Jahrhundert.
Warf Stefania nun einen Blick in den Spiegel, bevor sie sich auszog und duschte, schaute sie Joaquin auf der andern Seite direkt in die Augen, ohne es zu wissen. Frauen sind nie schöner, als wenn sie sich vor einem Ganzkörperspiegel zurechtmachen. Wenn sie sich das Haar hochstecken. Einen prüfenden Blick auf die BH-Träger werfen. Das Höschen zurechtzupfen. Diese Intimität, diese innere Vertrautheit zwischen Spiegel und Frau ist etwas vom Faszinierendsten, das es überhaupt gibt auf dieser lieben, kleinen Welt.
Während Stunden war Joaquin nervös auf seinem Bett gelegen. In seinem Roman, dem Neuen von Donna Leon, kam er kaum vorwärts. Die Klimaanlage funktionierte nur bedingt – immerhin war es kühler als draussen, wo er vergeblich nach Stefania gesucht hatte.
Nino kam beim Lesen von Fachzeitschriften zuhause ebenfalls nicht vorwärts. Er wusste, dass er ein Risiko eingegangen war. Er wollte Stefania überwachen lassen, was ihm im Grunde schlechtes Gewissen bereitete. Er vertraute Joaquin, bezahlte allerdings einen Preis. Es war ihm sehr wohl bewusst, dass sein Freund Einblicke haben würde ins Intimleben seiner Frau. Er würde sie durch den Spiegel beim Ausziehen beobachten können. Er würde sie sehen können, wenn sie aus der Dusche spazierte. Nino würde Stefania sogar bei Dildospielchen betrachten können, wenn ihm der Sinn danach stand. Nino kannte das kleine Hotel aus seinem früheren Leben als Single. Er wusste, dass die Einwegspiegel so positioniert waren, dass man Bett und Badezimmer gleichsam im Fokus hatte.
Als er sich seine geliebte Frau hüllenlos vorstellte, hatte er sofort eine Erektion. Obwohl er sich dagegen wehrte, erregte ihn der Gedanke, dass sein Freund Stefania nackt sehen konnte, wenn er wollte.
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