Nun wäre Chris nicht Chris, wenn er nicht sofort gemerkt hätte, dass das nicht die ganze Wahrheit, genaugenommen sogar ganz weit davon entfernt war.
„Schatz, ich war eben etwas aufgebracht, und in meiner Rage hab ich Lydia und Manuela ein paar Interna von der Entführung erzählt. Das mit der Software zum Beispiel.“, will ich die Sache wieder in Ordnung bringen.
„Man Josie, du weißt genau, wie sensibel diese Details sind. Was hast du dir dabei gedacht?“
„Nichts! Dabei hab ich mir gar nichts gedacht! Und ich bin mir sehr sicher, dass unsere Geheimnisse diesbezüglich, bei den beiden völlig sicher sind. Außerdem hat das eben noch einen guten Nebeneffekt gehabt. Oder hast du gewusst, dass die Iris ziemlich eng mit der Müller aus der Kantine ist?“
„Du meinst die Dicke mit den fettigen Haaren, die immer so unappetitlich müffelt?“
„Genau die! Wo man den Kittel allein in die Ecke stellen könnte.“
„Ne, dass höre ich zum ersten Mal. Interessant! Mal abgesehen davon, dass die mit ihrer Hygiene überhaupt nicht in der Kantine arbeiten dürfte. Beinahe ekelig ist die, da vergeht mir alles. Aber danke für die Info, sowas könnte wirklich wichtig sein.“
„Ach Schatzi, hättest du was dagegen, wenn Lydia, Manuela und ich künftig mehr miteinander Unternehmen würden. Wir sind gerade dabei, uns anzufreunden.“
„Nö, finde ich sogar gut. Dann kommst du wenigstens auf andere Gedanken, weg von Sven …!“
„Schatz, echt, das hätte jetzt nicht sein müssen! Ich dachte, wir hätten das besprochen.“„Du hast recht, entschuldige bitte.“
Chris stand auf, drückte mir einen butterweichen Schmusekuss auf die Wange und verschwand mit seinem Handy im Garten. Mir war klar, dass er mit der Polizei telefonierte, um die Neuigkeiten weiterzugeben.
Es dauerte, bis er zurückkam, aber kurz danach wieder im Haus verschwand.
Irgendwie war in der Frauenrunde nach Chris’ Auftritt die Luft raus. Lydia sah Manuela an und ohne Worte waren sich die beiden einig, zu gehen. Es war auch später Nachmittag, und vor allem Manuela musste sich ja noch um ihre zwei Kinder kümmern. Mit dem Versprechen, dass man sich ja am Montag wiedersehen würde, begleitete ich meine neuen Freundinnen zu ihren Autos und drückte auf die Fernbedienung für das schmiedeeiserne Tor.
****
Erst eineinhalb Stunden später sah ich Chris wieder. Ich fand ihn nach kurzem Suchen in seinem Arbeitszimmer, über einer Personalakte brütend. Es war die von Frau Müller, wie ich schnell feststellen konnte.
Frau Müller musste sich im Laufe der Zeit ziemlich verändert haben, denn an dem Umschlag war ein Bild angeheftet. Das abgebildete Gesicht und der Oberkörper darauf, hatten kaum noch Ähnlichkeit mit der Frau Müller, die ich kannte.
„Oh Gott, Schatz, was ist denn mit der Frau passiert?“, fragte ich entsetzt, wobei ich meinem Liebling eine Hand auf die Schulter gelegt hatte. Die aufkommende Wut von vorhin war längst wieder verraucht.
„Ich weiß es nicht, Hase! Es muss was Schlimmes sein, wie kann man sich sonst derart verändern? Sieh nur, wie schlank sie mal war, diese wunderschönen langen Haare, nichts ist davon geblieben. Ich hab den Detektiv schon angerufen, der soll sich mal schlaumachen.“
Mit geübtem Blick ließ ich meinen Blick über den riesigen Schreibtisch wandern. Dort lag nicht nur die Akte von Frau Müller, sondern auch die von Iris, meine, und eine von Sven. Genau, von DEM Sven!
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