Wieder auf Los

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Wieder auf Los

Wieder auf Los

Abdullah Quasseem

Jetzt sag‘ mal ehrlich …“
„Stimmt aber.“ Ich sah ihm fest in die Augen und zuckte mit den Schultern. „Bin seit gestern Morgen um acht wieder draußen; war zwei Jahre im Bau.“
„Du?“, staunte er immer noch ungläubig, „das kann ich mir bei dir überhaupt nicht vorstellen … so nett wie du bist und auch noch so hübsch; also echt jetzt, ohne Scheiß?“
„Hab‘ da ‘ne Menge Leute kennengelernt, denen man das nicht ansieht. Da sitzen nicht nur welche, die überall mit Tattoos voll sind und mit Piercings gespickt oder so …“
„Mann!“, sagte er kopfschüttelnd, leise, „du und Gefängnis? Wahnsinn!“ Er machte eine kleine Pause und lachte ein wenig. „Weißt du, dass du die erste Frau mit Knasterfahrung bist, die ich kennenlerne?“
Ich zuckte erneut ratlos mit den Schultern und musste unwillkürlich lachen. Irgendwie fühlte ich mich erleichtert; es war doch gar nicht so schlimm gewesen. Immerhin sah er mich noch immer freundlich an.
„Und für was?“, bohrte er nach.
„Cannabis,“, antwortete ich jetzt ruhig, „Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Wurde an der Schweizer Grenze mit 380 Gramm Gras erwischt. Ein schwerer Fall der den Rahmen einer Bewährungsstrafe deutlich übersteige, hat der Richter gesagt, meine Jugend und meine bis dahin untadelige Lebensführung als mildernde Umstände gewertet und mir drei Jahre gegeben. Zwei hab‘ ich abgesessen. Rest auf Bewährung. Jetzt muss ich erst mal sehen, wie ich wieder zurechtkomme. Ist nicht lustig, wenn du’s wissen willst …“
„Poahh, Scheiße!“, entfuhr es ihm, „aber das ist halt Bayern. Da buchten sie dich wegen sowas gleich ein. In Berlin würde wahrscheinlich kein Hahn danach krähen. Dabei macht das heute doch fast jeder. Ich meine, ich dübel ja auch mal einen, ab und zu … Hier müssen wir raus!“
Am Bahnsteig stand ich ihm nochmal gegenüber. Er sah immer noch scharf aus, war einen halben Kopf größer als ich, einsfünfundachtzig schätzte ich. „Also tschüss dann“, sagte ich, „vielleicht fahren wir ja mal wieder zusammen, wenn du auch hier draußen wohnst. Hat mich gefreut, dich kennenzulernen.“ Damit wandte ich mich um und musste gegen eine Träne der Enttäuschung ankämpfen, weil meine kleinen, heimlichen Tagträume so schnell wie Seifenblasen wieder zerplatzt waren. Am liebsten hätte ich mich ihm an den Hals geworfen. Er war so sexy und dazu noch nett. In meinem Schritt pochte es so heftig, dass ich kaum noch anständig laufen konnte. Ich wusste schon, was ich zuhause gleich machen würde.

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