Am schlimmsten war die versteckte Androhung von Liebesentzug, denn er war ihr inzwischen verfallen. Ohne „Liebe“ war er ein Süchtiger ohne Rauschgift. Das Leben des Bruders war kaum gerettet, als das Haus der Eltern vom Einsturz gefährdet und eine Reparatur dringend nötig war. Wer kubanische Häuser kennt, wundert sich darüber nicht, aber dass es ausgerechnet jetzt passierte und dann auch noch so heftig sein würde, fand er schon reichlich seltsam. Wieder drohte sie, wiedergab er nach und strapazierte seine Kreditkarte erneut. Auch im sozialistischen Kuba funktionieren manche kapitalistischen Einrichtungen sehr gut und das wusste Yessica, schließlich hatte sie genügend Erfahrung mit Touristen. Das Haus stürzte nicht ein.
Doch kurz danach endete ihr Honigmond. Der erste Dämpfer war der Umzug in das schäbige Hotel. Yessica war sauer und ließ ihre Enttäuschung an ihm aus, obwohl er wirklich nichts dafürkonnte, aber sie hatte sich ihre harte Arbeit in einer angenehmeren Umgebung vorgestellt. Der Versuch, sie zu überzeugen, dass man auch in einem billigen Hotel verliebt sein könnte, schlug fehl. Das wirkliche Problem begann jedoch mit einer Nachricht, die ihm Visa auf sein Handy schickte. Sein Kreditrahmen sei nahezu erschöpft und er müsse einen Monat warten, ehe weitere Belastungen möglich seien. Yessica war entsetzt, denn auch sein Bargeld neigte sich dem Ende zu. Zum Glück war das Hotel mitsamt Vollpension schon bezahlt, wenn auch nur für eine Person. Die Hoffnung wegen des Downgradings ein bisschen Bares zu bekommen, erfüllte sich leider nicht, das sei absolut unmöglich, sagte man ihm. Und nun hatte zu all dem Schlamassel auch noch der verdammte Krieg in Europa begonnen.
In den örtlichen Nachrichten wurde die Treue zu den Russen beschworen.
Yessica
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Yessica
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