Ziemlich kurz

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Ziemlich kurz

Ziemlich kurz

Andreas

Wieso fährst du in so einem Kleid mit der S-Bahn, wo du doch weißt, dass es wirklich sehr kurz ist? Sag mir bitte die Wahrheit!“

Ich spürte, dass sie sich unwohl fühlte, als ich sie damit konfrontierte. Finja rückte scheibchenweise mit der Wahrheit heraus. Ich fühlte mich für dieses unbedarfte Mädchen verantwortlich, konnte es mir selbst kaum erklären. Es spielte tatsächlich eine Rolle, dass sie meine Tochter hätte sein können. Ich stellte mir vor, wie ich dann reagieren würde. Der Gedanke daran verfestigte sich, je mehr Finja preisgab. Ich ärgerte mich über ihr gedankenloses Verhalten. Der Zorn wuchs mit jedem Wort von ihr. Ich unterdrückte meine Gefühle, hörte was Finja zu erzählen hatte. Es war wirklich unglaublich.

„Na ja, ich war ziemlich spät dran heute Morgen. Eigentlich bin ich das immer. Ich sah auf die Uhr, wusste dass ich sofort los muss, wenn ich die S-Bahn noch rechtzeitig kriegen will. Ich hab eine kleine Wohnung, leider ohne eigenes Bad. Ich zieh mir also schnell das rote Kleidchen über, will rasch ins Gemeinschaftsbad huschen. Das befindet sich zwar auf meiner Etage, aber leider außerhalb der Wohnung. Ich hab es eilig, schlag die Tür hinter mir zu. Nachdem ich mich schnell gewaschen hab, will ich in die Wohnung zurück. Da bemerke ich es – ich habe keinen Schlüssel mitgenommen.
Was soll ich jetzt machen? Vor der Tür stehen meine Sneaker. Ich schlüpfe hinein und dann renne ich zur S-Bahn-Station. Das war der reinste Spießrutenlauf! Meinen Termin hatte ich auch verpasst, konnte ihn nicht einmal absagen. Jetzt will ich zu meiner Ma, meinen Ersatzschlüssel holen.“

Ich stellte mir die Frage, was ihre Mutter wohl sagen würde, wenn sie ihre Tochter in diesem Aufzug erblickte? Finja wirkte auch etwas besorgt, das spürte ich ganz deutlich. Ich versprach ihr, dass ich sie bis zur Wohnung ihrer Mama begleiten würde. Ich konnte das Mädel in diesem Kleid unmöglich allein lassen.

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