Wir waren doch in dieser Firma eigentlich alle intelligente Menschen, und kritische Denker sowieso. Doch immer mehr von den für normal gehaltenen Kollegen zeigten seltsame Ausfallerscheinungen. Tim vom Zimmer nebenan etwa betrat ebenfalls nur mit Maske unser Zimmer, auch wenn er nur die Post ablegen wollte. Ein falscher Film.
Inzwischen, fast ein Jahr später, meide ich das Bürohaus regelrecht, weil dort immer mehr Maskenfetischisten herumrennen. Nachdem mich sogar der Pförtner vor ein paar Wochen anpflaumte, ich dürfe nicht ohne Maske das Haus betreten und mich verfolgte – wozu er hinter seiner seltsamen Scheibe hervorkam, ohne Maske, und mich ja wohl nach seiner Weltsicht in Lebensgefahr brachte – gehe ich nur noch an Feiertagen ins Haus, wenn wirklich niemand da ist. Dann genieße ich es mal wieder, mich an einen richtigen Schreibtisch zu setzen, einen großen Bildschirm zu haben, einen professionellen Kopierer, eine Teeküche, Getränkeautomaten im Foyer, Blöcke und Stifte und Kalender zum Mitnehmen – all das, was man jahrzehntelang für selbstverständlich gehalten hat.
Eines Tages, als Manuel und ich gemütlich zusammen im Zimmer saßen, kam Urs vorbei. Ich freute mich sehr, endlich waren wir drei einmal wieder vereint, wir plauderten ein wenig, zum Flirten war keine Zeit, denn Urs wollte nur ein Buch von seinem Schreibtisch holen.
Am nächsten Tag bekam ich eine Email von meinem Chef. Wieso wir zu zweit in einem Zimmer säßen, das sei doch verboten.
Urs, die Petze!
Sofort schrieb ich ihm eine Email, ob er das weitergegeben habe. Das musste ich tun, damit sich mein Hass nicht ins Unermessliche steigerte. Jaaaaa, schrieb er zurück, das habe er so nebenbei erwähnt….
Meine gewisse Sehnsucht blieb trotzdem erhalten, eine Art innige Sympathie für ihn, mit Hoffnung auf mehr. Obwohl mir inzwischen schon seit Längerem dämmerte, dass er schwul war.
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