Schon immer tat es mir leid, dass Urs schwul war. Vor allem seit ich mit ihm in einem Büro saß.
Vorher hatte er immer an einem Fensterplatz im Großraumbüro gesessen und unscheinbar gewirkt. Da war er noch Aushilfskraft. Das Einzige, was mir schon damals aufgefallen war, war, dass er immer von jungen Kolleginnen umgeben war. Mit ihnen ging er zum Mittagessen in die Kantine und zum Kaffeechen in die Sonne am Nachmittag. Ihn selbst schätzte ich auf Mitte 40.
Als er dann in meinem Büro mit mir und einem weiteren Kollegen Platz nahm, bestätigte sich seine Anziehungskraft auf junge Kolleginnen. Täglich kamen mehrere an unsere Zimmertür, ein kleines Dreierbüro, und lächelten Urs an. „Magst du ein Wasser?“ fragten sie, wenn sie nach vorne zum Wasserspender gingen. Er bejahte oft lächelnd. Oder er sagte, gerade nicht, aber später ein Käffchen. Ich machte vorsichtige Scherze darüber, denn irgendwie erschien mir Urs sensibel. „Mädels umschwirren dich wie Motten das Licht“ sagte ich etwa oder „Wie machst du das bloß, dass alle Damen dich bedienen?“ Er saß dann nur gutaussehend in seiner Ecke am Fenster und lächelte süffisant. Mehrere Praktikantinnen und Aushilfsmädels hatte ich im Verdacht, etwas mit ihm zu haben. Etwa Chrissie, die seit sie bei uns arbeitete, immer dürrer wurde. Ein Fall von Magersucht. Oder aber Verliebtheit in Urs. Nach der Frequenz ihres Auftauchens an unserer Bürotür zu urteilen und nach dem sehr vertraut klingenden Tonfall sowie diversen Andeutungen auf gemeinsam verbrachte Abende war sie hochgradig verdächtig. Doch auch andere Blondies kamen in Betracht. Sogar Frieda, die sicher schon Ende 30 war. Aber ihr schmachtender Blick und ihre Angebote (Magst du etwas aus dem Bistro? Gehst mit in die Sonne?) waren doch wirklich eindeutig. Sie hätte ihn nicht von der Bettkante geschmissen.
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