Zuflucht

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Wulff Triebsch

Ich hätte mich besser vorher im Café unseres Einkaufszentrums umschauen sollen. Jetzt, mit der Kaffeetasse auf dem sperrigen Tablett in meinen Händen, war es zu spät. Ich entdeckte nirgendwo einen freien Platz. Auf der freien Bank im Gang wollte ich mich nicht niederlassen.
Mein Blick fiel auf eine halbkreisförmige Sitzgruppe mit einem Tisch in der Mitte, an der zwei Frauen in einem Gespräch vertieft waren. Zögernd trat ich auf sie zu: „Entschuldigung, ist hier noch ein Platz frei?“
Die schwarzhaarige Frau am Ende der Sitzbank schaute mich musternd an, als müsste sie erst ein Gutachten über mich anfertigen; die andere, eine Frau mit fuchsroten krausen Haaren lächelte mir entgegenkommend zu, wartete aber die Reaktion ihrer Nachbarin ab. - „Bitte!“, sagte die Schwarzhaarige und gab mir mit der Hand ein Zeichen, dass ich mich setzen durfte, ans äußerste andere Ende des Halbkreises.
Die beiden Frauen am Tisch betrachteten Postkarten, die die Rothaarige in ihren Händen hielt. Vermutlich waren sie gerade erst aus dem Urlaub zurückgekehrt und besprachen ihre Erlebnisse. Dafür sprach auch die Kleidung, die die braun gebrannte Rothaarige trug: Eine dünne cremefarbene Bluse und einen kurzen blauen Rock; für das hiesige kühle Wetter ziemlich unpassend.
Die Postkarten, die sie in den Händen hielt, waren zu meiner Überraschung Ansichtskarten von unserer Stadt. Trotz der Entfernung konnte ich von meinem Platz aus erkennen, dass auf der Rückseite der Postkarten in der Anrede nur männliche Vornamen geschrieben standen. ›Lieber Mario‹, konnte ich lesen, und ›lieber Georg‹, ›lieber John‹.
„Dem schreibst du auch?“ Die Rothaarige nickte. „Allen schreibe ich!“ - „Wie viel waren das?“ - „Dreizehn, wenn du es genau wissen willst." Die Schwarzhaarige schaute sie entsetzt an. "Wirklich dreizehn?"
Die Schwarzhaarige zeigte auf eine Einkaufstüte aus dem großen Textilgeschäft unseres Einkaufszentrums.

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