Zwischen den Zeilen

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Zwischen den Zeilen

Zwischen den Zeilen

Chloé d'Aubigné

Sein Körper reagierte sofort, doch er hielt sie fest, stoppte sie. „Nein, das machen wir jetzt nicht. Noch nicht. Ich will nicht, dass diesmal alles wie gewohnt läuft. Ich will vielmehr, dass du fühlst,, was du schreibst. Es nicht einfach nur weißt.“

Sie lächelte. „Ich weiß es zwar auch ganz genau – doch vor allem fühle ich es. Und gefühlt ist es viel facettenreicher. Viel schärfer. Viel klarer.“

Seine Hand an ihrem Rücken drückte sie zu sich. Der Stuhl knarrte. Die Luft war plötzlich schwer, elektrisch.
Ihre Finger hakten sich in seinen Nacken, ihre Lippen fanden seinen Hals, und sie flüsterte dazwischen:
„Wirst du’s lesen, wenn ich’s fertig habe?“
„Nur, wenn du’s mit der Hand schreibst.“
„Und wenn ich mitten im Satz aufhöre?“
„Dann weiß ich, dass du an genau dieser Position hier bist, hier bei mir.“

Er küsste sie erneut, erst sanft, dann mit jener Beharrlichkeit, die keine Trennung mehr zuließ. Ihre Finger schlossen sich in seinem Haar, und eine Weile gab es keine Sprache mehr, nur Bewegung, Atem und dieses unausgesprochene Wissen, dass beides – Wirklichkeit und Fantasie – in ihrer Berührung zusammenfiel.

Dann lösten sie sich, beide schwer atmend.

Er strich eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. „Das da,“ sagte er leise, „ist der Teil, den du nicht teilen wirst.“

„Und warum nicht?“
„Weil das hier nicht für Leser ist.“

Sie nickte. Ihre Wangen glühten, ihre Augen leuchteten. Dann griff sie nach dem Stift und schrieb, während er noch hinter ihr stand, über ihre Schulter blickend.

“Er las sie wie ein offenes Buch, weil er wusste, dass es da eine Seite gab. Eine Seite, die sie nie der Öffentlichkeit zeigen wollte. Die nur er aufschlagen durfte. Und die er nie mit anderen teilen würde, weil er sie viel zu geil fand, sie zu teilen.“

Er legte wieder eine Hand auf ihre Schulter.
„Das ist dein echter Anfang.“
„Eher mein Nachwort.“
„Nein“, sagte er, „das ist der Moment, in dem du aufhörst, dich zu verbergen.“

Sie sah ihn an, lächelte, und in ihrer Stimme lag dieses sachliche, ruhige Timbre, das nur sie beherrschte:
„Dann wirst du immer mein Lektor bleiben – auch, wenn du mich längst auswendig kennst.“

Als sie später allein im Zimmer saß, das Blatt vor sich, war die Schrift unregelmäßig, an manchen Stellen verwischt vom Schatten seiner Nähe. Sie roch noch nach ihm, nach Tinte, Papier und dem, was man nicht aufschreiben kann.
Sie drehte die Seite um, griff erneut zum Stift und schrieb:

"Und diesmal schrieb sie, ohne eine Maske zu tragen, ohne sich selbst auszuschließen."

Dann legte sie den Stift weg, denn sie wusste:
Der Rest stand längst zwischen den Zeilen.

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