Zwischen den Zeilen

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Zwischen den Zeilen

Zwischen den Zeilen

Chloé d'Aubigné

Er lachte leise, kaum hörbar – ein Ton, halb amüsiert, halb überrascht.
„Das ist … mutig“, sagte er, während sein Blick über die Seite glitt, die sie ihm hingelegt hatte. „Wirklich mutig, Anna.“

„Mutig?“ Sie legte den Kopf schief. „Oder peinlich? Sei ruhig ehrlich, ich kann es ertragen“, auch wenn sie sich nicht so ganz sicher war, ob dies der Wahrheit entsprach.

„Eines schließt das andere nicht aus“, antwortete er mit einem neckischen Grinsen. Eines, von dem sie nicht wusste, ob es ihr Zuversicht geben oder doch eher noch mehr verunsichern sollte.
Er hob das Blatt etwas höher, rückte sich im Stuhl zurecht. Sein Daumen strich über den Rand des Papiers, als wolle er prüfen, wie es sich anfühlt, ein Geheimnis anzufassen.

„Lies es ruhig laut“, sagte sie. „Ich will hören, wie es klingt. Also wenn es von einer anderen Person laut vorgelesen wird.“

Ein kaum merkliches Zögern. „Bist du sicher?“

„Natürlich.“
„Ich soll all diese Dinge zu Dir sagen, die deine Protagonisten von sich geben?“
„Ja.“

Also begann er zu lesen. Zunächst zurückhaltend, fast neutral, aber mit tadelloser Aussprache. Doch bald veränderte sich etwas in seiner Stimme. Sie hörte sich selbst aus seinem Mund – ihre Worte, ihre zu Papier gebrachte Fantasie –, aber durch seine tiefere, kontrollierte Tonlage bekamen sie ein anderes Gewicht.
Er las, wie die Frau in der Geschichte zitternd auf den Mann wartete, wie seine Hände sich unter ihrem Kleid bewegten, langsam, forschend, bis die Luft zwischen ihnen schwer wurde.
Es war ihre Fiktion – doch in seiner Stimme klang sie echt, gewann an Leben. Und doch, etwas fühlte sich für sie nicht richtig an.

Er hielt inne.
„Da steht: Er zwang sie, ihn anzusehen, während er ihr den Atem raubte.“
Sein Blick suchte ihren.
„Ich soll das wirklich weiterlesen?“
„Ja.“

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Gedichte auf den Leib geschrieben