Es klingelt und es dauert, bis ich die Wohnungstür höre. Sicher hat er ein komisches Bauchgefühl, wenn ich sein erster Psychologe bin. Das geht allen Patienten so.
Ich darf mir nicht anmerken lassen, dass mir ein gewaltiger Schreck in die Glieder fährt und mich erstarrt stehen lässt.
Das kann doch nicht sein! Er sieht aus, wie mein …
Nein, das kann nicht sein, darf nicht sein. Sicher ist das nur ein schlechter Scherz von meinem … Doch ja, so etwas würde ich ihm zutrauen, nur um mir eins auszuwischen.
Nur die Stimme von Herrn Stolberg und seine schüchterne, zurückhaltende Art, dazu seine weit aufgerissenen Augen überzeugen mich, dass hier ein echter Patient vor mir steht und kein übertrieben schlechter Scherz von meinem Ex.
Eigentlich ganz süß, wie er dasteht. Er sieht gut aus und riecht so verdammt gut. Aber etwas verwirrt ihn offenbar.
Warum starrt er mich so an, als hätte er einen Geist gesehen? Und warum nennt er mich Tina? Der Gipfel ist dann, als er wie vom Donner gerührt auf mich zustürmt und mich in den Arm zieht. Er küsst mich, am Hals, im Gesicht, meine
Stirn und meine Augenlider, ja sogar auf den Mund küsst er mich. Er duzt mich, ist froh, dass er mich wiedersieht.
Er weint. Es ist schön, wenn Männer Tränen zulassen können. Besser, er setzt sich erst mal und beruhigt sich. Er wird Zeit brauchen um sich zu sortieren. Langsam aber bestimmt drücke ich ihn von mir ab, auf einen Sessel, der dicht am Fenster steht.
Seine Geschichte ist ein echtes Schicksal. Er hat schnell Vertrauen gefasst, erzählt mir auch intime Details. Jetzt verstehe ich, warum er mich mit Tina angesprochen und geduzt hat. Wenn ich ihr so sehr ähnlich bin, wie könnte ich ihm da böse sein.
Ich selbst hatte keinen Corona-Fall in der Familie und war Gott Lob auch davon verschont geblieben. Und nun höre ich aus erster Hand, wie es jemandem geht, dem sein geliebter Partner aus dem Armen gerissen wird.
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