Sehen

alltägliche Abenddämmerung

Luiz Goldberg

Die Sonne sackt weg
wie ein besoffener Freier,
der sein letztes Geld für eine schnelle Nummer verpulvert hat.

Der Himmel wird fahl,
als hätte jemand die Farbe aus dem Leben gesaugt
und nur das Grau übrig gelassen.

Überall blättert die Ölfarbe von den Fassaden,
großflächige Wunden aus billigem Grün und verblichenem Rosa,
als hätte die Stadt selbst ihre Schminke nicht mehr erneuert
seit den Siebzigern,
als hier noch richtig gefickt wurde.

Verrostete Karren stehen am Bordstein
wie impotent gewordene Liebhaber,
die niemand mehr anfassen mag.

Reifen platt, Scheiben blind vor Dreck,
und in den Kofferräumen gammelt der Müll von gestern:
leere Bierdosen, benutzte Präservative,
ein zerrissener BH, der mal rot war.

Die Straße riecht nach altem Frittierfett
und billigem Parfüm,
das sich mit Pisse mischt.

Und dann kommen sie.
Die jungen Weiber mit den alten Körpern.

Zwanzig vielleicht,
aber die Haut schon schlaff
wie nach drei Kindern und zwei Abtreibungen.

Die Titten hängen in Netzoberteilen,
die früher mal schwarz waren und jetzt nur noch grau.

Arschbacken, die sich unter zu engen Hotpants wölben
wie überreifes Obst, das keiner mehr will.

Sie lehnen an Laternen,
rauchen filterlos
und spucken aus,
als wäre jeder Mann nur ein weiterer Tropfen
in ihrem endlosen Kreislauf aus Sperma und Enttäuschung.

Ein Typ mit Goldkette und Bierbauch bleibt stehen,
grapscht prüfend in einen Ausschnitt,
als wäre das Fleisch am Haken beim Metzger.

„Wie viel für alles?“

Sie nennt einen Preis,
der früher mal ein Stundenlohn war.

Er grunzt, nickt,
zieht sie in einen Hauseingang,
wo die Farbe besonders großflächig abblättert
und der Putz schon die Schamhaare der Stadt freigibt.

Drinnen geht’s schnell.
Hosen runter, Rock hoch,
kein Kuss, kein Wort.

Nur das schmatzende Geräusch von Körpern,
die sich gegenseitig nichts mehr zu geben haben.

Er stöhnt wie ein kaputter Kühlschrank,
sie schaut an die Decke,
wo eine Spinne ihr Netz spinnt –
geduldig,
weil sie weiß, dass früher oder später alles hängen bleibt.

Als er fertig ist,
wischt er sich am Vorhang ab,
wirft das Geld auf den Boden
wie ein Trinkgeld für miese Bedienung.

Sie sammelt die Scheine ein,
ohne ihn anzusehen.

Draußen ist die Dämmerung jetzt komplett runtergesackt.
Die Stadt sieht aus wie eine Hure nach der Schicht:
geschminkt, abgefuckt,
und doch irgendwie immer noch bereit für die nächste Runde.

Und irgendwo in einem dieser rostigen Autos
liegt ein Typ und wichst sich einen
auf genau dieses Bild.

Weil er weiß:
Morgen geht die Sonne wieder unter,
die Farbe blättert weiter ab,
und die jungen Weiber mit den alten Körpern
werden wieder dastehen.

Weil das Leben hier eben so läuft –
primitiv, vernachlässigt
und doch auf seine dreckige Art ehrlich.

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