Sehen

An die empörten Mimosen

Charles Haiku

Habe ich euch etwa die zarten Seelen geknickt?
Bin ich zu weit gegangen,
weil ich die Wahrheit ausgepackt hab
wie ’nen rohen Fisch auf den Markt?
Ihr sitzt da,
die Hände vors Gesicht geschlagen,
weil ich euch gezeigt hab,
dass nicht jeder Mensch ’ne Kopie vom anderen ist.
Oder weil ich – o Schreck –
vor euren Augen ’nem Schwan den Kopf abgebissen habe.
Na, und?
Ist das schon geschmacklos?
Oder liegt’s daran,
dass ich euch die alten Säcke beim Rummachen gezeigt hab,
wie sie mit zittrigen Händen nach Leidenschaft grabschen?
Plötzlich bin ich der Böse,
der Perverse,
der eure heile Welt mit ’nem Eimer Dreck kippt.
Ach, kommt schon!
Da steh ich,
der Künstler,
der’s wagt,
die Dinge zu sagen,
die ihr lieber in ’nen Schrank sperrt.
Ich zeig euch,
wie’s wirklich ist –
dass Menschen ungleich sind,
dass Omas und Opas noch Lust haben,
dass die Welt nicht aus lauter Kuschelhasen besteht.
Und ihr?
Ihr kreischt „Unverschämtheit!“,
als hätte ich euch die Keksdose geklaut.
Ich bin kein Monster,
ich bin der Typ,
der den Vorhang wegzieht
und euch zwingt, hinzugucken.
Kunst ist kein Wellnessbad,
sondern ’ne kalte Dusche,
die euch den Schlaf aus den Augen spült.
Was treibt euch an, so zu heulen?
Angst,
dass eure saubere Fassade bröckelt?
Dass ihr zugeben müsst,
die Welt ist chaotisch,
dreckig,
voller Unterschiede
und voller Geilheit,
die ihr nicht sehen wollt?
Ihr liebt’s doch,
wenn’s unter die Gürtellinie geht,
auch wenn ihr’s leugnet
wie Kinder,
die beim Kaugummiklauen ertappt wurden.
Ich zeig euch die Alten,
die’s noch treiben,
die Schwäne,
die keine Engel sind,
und ihr dreht durch.
Aber ratet mal:
Ihr kommt zurück,
glotzt,
empört euch –
und genießt’s insgeheim.
Ihr schimpft,
ihr spuckt,
aber ihr bleibt.
Ihr wollt den Skandal,
den Tritt in eure Bequemlichkeit.
Ohne Typen wie mich
wärt ihr verloren
in eurer langweiligen Blase,
wo alles gleich ist
und niemand die Wahrheit sagt.
Also, heult weiter,
nennt mich ekelhaft,
nennt mich, was ihr wollt.
Ich mach weiter,
zerhacke Schwäne,
zeig euch die Lust der Alten
und die Unebenheit der Welt.
Ihr braucht das.

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