Sehen

An einem Sonntag, irgendwann in den Siebzigern

Ferdinand Freiherr von der Ferne

Übel gelaunt kommt Pfarrer Heinrich
zur Sakristei seiner Kirche.
Kirche, Küche, Kinder –
schonmal gehört? –
das kann doch nicht wahr sein!
Sein Kopf sagte ihm bei dem Anblick,
der sich ihm bot:
Alles ist heutzutage verkehrt!

„Verkehrt ihr etwa hier in der Sakristei?“

„Sakristei hin oder her –
es ist halt einfach über uns gekommen!“

„Gekommen bist du aber noch nicht, Schatz!“

„Schatz, laß doch jetzt den Blödsinn,
du siehst doch,
daß der Herr Pfarrer vor uns steht!“

„Steht er Ihnen immer so, Herr Krause,
auch wenn sie mal – wie jetzt – unterbrochen werden?“

„Werden Sie mal scharf und verliebt
wie ich es gerade bin, Herr Pfarrer,
dann werden sie schon noch erfahren,
wie das so ist.“

„Ist Ihnen nicht kalt, junge Frau,
so nackt auf dem bloßen Teppich zu liegen?“

„Liegen, stehen oder sitzen,
in allen Positionen habe ich gerade
nahezu geschwitzt,
wenn Sie verstehen, was ich mein?“

„Mein liebes Fräulein,
wie unkeusch,
ich muß doch recht bitten!“

„Bitten Sie lieber meine Freundin,
sich anzuziehen,
sie ist von Natur äußerst schamlos!“

„Schamlos mein Fräulein,
in der Tat,
ziehen Sie sich also bitte schnellstens wieder an
und machen Sie,
daß Sie mit Ihrem Liebhaber
hier aus der Sakristei herauskommen,
wenn ich bitten darf!“

„Darf ich Ihnen nicht noch etwas Gutes tun,
Herr Pfarrer,
vielleicht mit meinem Mund –,
damit er kein Schmollmund werden muß…?“

„Muß ich mir sowas Obszönes anhören, Herr Krause?“

„Krause sind sie“,
kicherte das nackte Fräulein,
„und so schön rötlich – meine Schamhaare!“

„Schamhaare?
Ich dachte heutzutage
sind alle Frauen blitzblank da unten,
aber…“

„Aber Herr Pfarrer, Ihre Phantasie…!“

„Phantasie… ja,
Sie haben schon ganz recht mein Fräulein,
ich habe so meine Phantasien…
wenn Sie wüßten,
was man als Pfarrer manchmal so alles mitkriegt,
oder zu sehen bekommt…!“

„Bekommt man dann auch als Pfarrer einen hoch?“

„Hoch jetzt, aber flott,
es reicht,
jeden Moment kann unser Küster kommen,
was soll der denn dann denken,
Herr Krause – mein Fräulein?“

„Fräulein nunmal nicht mehr!“

„Mehr sag ich nicht“,
sagte das vermeintliche Fräulein.

„Fräulein nicht,
vielmehr Frau Lenau“,
sagte Herr Krause –
„sie bekommt bald ihr zweites Kind.“

„Kind…???!!!“

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