Sehen
Ausreden & Fluchtversuche
Dieter B. aus M.
(ein Name, den die Welt nur unter Initialen kennt,
weil die volle Wahrheit zu schwer wiegt)
stand vor Gericht
und nannte das Ganze
eine Flucht nach vorn.
In einer lauen Mainacht,
wo die Luft nach Bier und billigem Parfüm stank,
hatte er einer jungen Frau
beide Hände voll Brüste gegriffen,
als wären es die letzten zwei Griffe
am Abgrund seiner eigenen Potenz.
Sie schrie, er lachte,
die Security kam,
und plötzlich war alles ganz offiziell.
Vor dem Richter
plädierte sein Anwalt
mit jener ernsten Miene,
die nur teure Roben tragen dürfen:
„Mein Mandant befand sich
in einer existenziellen Ausnahmesituation.
Das Greifen war keine Straftat,
sondern eine strategische Vorwärtsbewegung!“
Der Saal kicherte.
Dieter nickte eifrig,
als hätte er gerade Clausewitz zitiert
statt nur in einen Ausschnitt gelangt.
Flucht nach vorn –
das klingt nach Panzerarmee,
nach Heldentum,
nach etwas, das man in Schulbüchern lobend erwähnt.
In Wahrheit war es
der älteste Reflex der Menschheit:
Wenn die Hose eng wird
und der Verstand aussetzt,
greift Mann zu,
was gerade in Reichweite wackelt.
Kein Schachzug,
kein militärischer Geniestreich,
sondern schlichter Hormonstau
mit fünf Fingern voraus.
Dieter B. ist kein Einzelfall.
Er ist das lebende Beweisstück dafür,
dass Männer seit Urzeiten
dasselbe Manöver fahren:
Angriff als Verteidigung,
Griff als Gruß,
Überfall als Annäherung.
Die Steinzeitkerle schlugen mit der Keule zu
und nannten es Werbung.
Die Ritter stürmten die Burg
und behaupteten, es sei ein Höflichkeitsbesuch.
Und heute?
Heute nennt man es Flucht nach vorn
und hofft, dass irgendein Paragraph mitspielt.
Die Frau,
deren Brüste plötzlich zur Frontlinie geworden waren,
stand daneben
und schüttelte nur den Kopf.
Sie hatte keine Lust auf Kriegsgeschichte.
Sie wollte einfach nur nach Hause,
duschen
und vergessen,
dass es Männer gibt,
die ihre Impotenz vor der eigenen Courage
mit fremdem Fleisch kaschieren.
Aber Dieter B. aus M.
blieb standhaft –
im übertragenen Sinne natürlich.
Er wiederholte gebetsmühlenartig sein Mantra:
„Flucht nach vorn!“
Als wäre das Greifen
eine Art patriotischer Akt gewesen,
ein kleiner Beitritt zur Geschichte der großen Eroberer.
Cäsar hatte Gallien,
Napoleon Russland,
Dieter die linke Brust
einer 24-Jährigen aus dem Main-Taunus-Kreis.
Das Urteil fiel mild aus.
Geldstrafe, ein paar Stunden Sozialtraining zum Thema Grenzen.
Dieter verließ den Saal mit erhobenem Haupt –
schließlich hatte er ja gesiegt.
Die Flucht war gelungen.
Nur nach vorn, das stimmte leider nicht.
Eher seitwärts in die nächste Schlagzeile.
Und irgendwo lacht sich ein Anwalt ins Fäustchen,
weil er weiß:
Solange Männer ihre Lenden als Sturmgeschütz missverstehen,
wird es immer Arbeit geben.
Flucht nach vorn –
die eleganteste Umschreibung
für das, was passiert,
wenn der Schwanz das Kommando übernimmt
und das Hirn schon Feierabend hat.