Sehen

Casanova ohne Absicht

Charles Haiku

In der U-Bahn,
Scheibe spiegelt ein Gesicht,
39 Jahre, Bart wie ein Statement,
wuchs aus Faulheit, dicht und rau.
Zu Hause: eine Frau,
zwei Kinder, sechs und acht,
ein Hamsterrad aus Alltag,
Windeln, Schulranzen, Gutenachtgeschichten.
Sex beständig,
nicht atemlos,
aber echt.

Dann: die Firmenfeier.
Anzug, nichts Besonderes,
Bier in der Hand,
eine Kollegin, kaum bekannt.
„Du siehst aus wie ein echter Mann.“
Lachen, Tanzfläche,
ihre Nummer in seiner Tasche.
„Ruf an.“
Ein Witz, dachte er.

Doch es geht weiter.
Supermarkt, Einkaufswagen,
Kinder quengeln,
eine Frau rempelt, entschuldigt,
fragt nach den Kleinen.
„Väter wie du – selten.“
Ein Lächeln,
dann Chats,
Nicken im Vorbeigehen.
Die Barista im Café,
extra Schaum,
„Du wirkst so stabil.“
Flüstern, das hängen bleibt.

Ist es der Bart?
Maskulin, verwegen.
Die Kinder?
Verantwortung, weich verpackt.
Oder die Ehe,
die funktioniert,
ohne Drama, ohne Lügen?
Er weiß es nicht.

Nachrichten fließen ein,
„Bist du frei?“
„Lass uns treffen.“
Fitnessstudio, Elternrat,
eine Schulfreundin,
längst vergessen,
nun wieder da.
„Klassekerl“, sagen sie,
loben die Ruhe,
den Humor,
das Etwas,
das er nicht sieht.

Er probiert es aus.
Ein Date,
dann ein zweites.
Lachen, Leichtigkeit,
manchmal mehr.
Seine Frau ahnt nichts,
das Bett bleibt warm,
routiniert,
aber echt.

39,
und das Leben pulsiert.
Im Park,
eine andere,
Anekdoten über Kinder,
Küsse im Schatten.
Zu Hause:
der Bart bleibt,
die Kinder toben,
die Frau wartet.

Er wird zum Casanova,
ohne Plan,
ohne Pose.
Die Frauen sagen ja,
immer ja.
Ein Wochenende,
Wein, Spaziergänge,
„Erzähl von deiner Familie.“
Er tut’s,
sie hängen an seinen Lippen.
Hotelzimmer,
wild,
doch er denkt an zu Hause.

„Nochmal?“
Eine SMS,
ein Lächeln.
Vielleicht ist es alles:
Bart, Kinder,
die Ehe, die hält.
Oder Pech,
dass er früher unsichtbar war.
Jetzt ist er der Typ,
den alle wollen.

Seine Frau sagt:
„Du siehst glücklich aus.“
Im Bett,
ihre Haut an seiner,
wie immer.
Am Morgen blinkt das Handy:
„Treffen?“
Er sagt zu.

Das Spiel läuft weiter,
39,
und die Welt vibriert.
Frauen umschwärmen ihn,
fragen nach Zeit.
Er gibt sie,
ohne Fragen,
ohne Warum.
Es ist,
wie es ist.

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