Sehen

Dein herzallerliebstes Mütterlein

Jan-Josef Markwort

Deine Mutter,
diese heilige Kuh im Wohnzimmer,
die immer so tut,
als wäre sie die Jungfrau Maria persönlich,
obwohl sie selbst in den Siebzigern
wahrscheinlich auf jedem Dorffest
die Beine breit gemacht hat
für einen Kasten Bier
und ein „Du, ich hab’s noch nie mit ’nem Typen mit Schnauzbart gemacht“.

Und jetzt sitzt sie da,
in ihrem geblümten Hauskleid,
das aussieht wie ein ausrangierter Vorhang aus dem Altersheim,
und spielt die moralische Oberaufseherin,
als wäre ihr Leben nicht eine einzige Aneinanderreihung
von Fehlentscheidungen,
die letztendlich dich hervorgebracht haben.

„Der?“
hat sie sicher gesagt
und mit ihrem nikotingelben Finger
auf das Foto gezeigt,
das du ihr stolz unter die Nase gehalten hast.

„Der sieht aus wie einer,
der nachts heimlich im Keller Puppen vergewaltigt
und tagsüber fromm in die Kirche geht,
um sich danach wieder die Hände zu waschen.“

Sie hat sich wahrscheinlich bekreuzigt,
als hätte sie gerade den Teufel persönlich gesehen,
dabei ist der einzige Teufel in ihrem Leben
der Vibrator mit den abgeplatzten Batterien,
den sie seit ’89 im Nachtkästchen versteckt
und der mittlerweile aussieht
wie ein verrosteter Bohrer aus der DDR.

Und dann der Klassiker:
„Der ist doch nur hinter deinem Geld her!“

Als ob bei euch zu Hause überhaupt Geld rumliegen würde.

Das Einzige, was bei euch rumliegt,
ist der Staub von 1992
und die Hoffnung,
dass endlich mal jemand den Müll runterbringt.

Aber nein, sie fantasiert sich zusammen,
ich wäre ein Heiratsschwindler
mit Goldkettchen und offenen Hemdknöpfen,
der dich nur flachlegt,
um danach die Erbmasse abzugreifen –
die aus genau drei angeknacksten Weihnachtstellern
und einem Sparkassenbuch mit 87 Euro drauf besteht.

Jetzt plötzlich will sie mich „kennenlernen“.

Klar.

Das ist die gleiche Frau,
die letztes Jahr noch gesagt hat:
„Wenn der über meine Schwelle tritt,
schmeiß ich ihm den Kochtopf an den Kopf.“

Jetzt auf einmal Kaffee und Kuchen?
Das ist doch der klassische Hinterhalt.

Sie plant, mich in die Ecke zu drängen,
mir Fotos von dir als Baby mit Windelausschlag zu zeigen
und dann mit diesem zuckersüßen Lächeln zu fragen:
„Und? Wie viele Frauen hatten Sie schon vor meiner Tochter?“

Während sie innerlich schon die Giftpille
in meinem Stück Bienenstich versteckt.

Ich sehe es kommen:
Sie wird mich mustern wie ein Stück Vieh auf dem Markt,
mir in die Augen gucken
und denken:
„Der hat doch bestimmt ’nen kleinen Pimmel,
anders erklär ich mir nicht,
warum meine Tochter so verzweifelt ist.“

Und wenn ich dann höflich „Guten Tag“ sage,
wird sie antworten:
„Na, Sie sind ja größer als auf den Fotos.
Hoffentlich hält der auch was aus.“

Aber gut, ich komm mit.
Ich zieh mir sogar ein Hemd an.

Und wenn sie dann fragt:
„Was sind denn so Ihre Absichten mit meinem Kind?“,
dann sag ich ihr ganz ruhig:

„Gnädige Frau,
ich will Ihre Tochter genau so lange vögeln,
bis sie endlich mal aufhört,
von Ihnen wie eine Dreijährige behandelt zu werden.

Und wenn’s sein muss,
mach ich das direkt auf Ihrem Küchentisch,
während Sie daneben sitzen
und zusehen,
wie Ihre heilige Prinzessin endlich mal richtig durchgenommen wird.“

Dann schau ich, ob sie noch mal kotzt.
Diesmal vor Schreck.

Und du grinst nur und sagst:
„Siehst du, Mama,
ich hab’s dir gesagt –
der ist genau mein Kaliber.“

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