Sehen

Der kalte, endgültige Abschied

Ferdinand Freiherr von der Ferne

Hastiger, endgültiger Abschied:  

Sie beugte sich herab – wie mit Flügeln –  
zu ihm herunter,  
der reglos am Boden lag.  

Niemals zuvor sah er Lippen aus Eis –  
kristallklar,  
und kalt der Kuß, den sie ihm gab –  
Haut-zerschmelzend.  

Bitternis spürt keine Wirklichkeit.  

Noch einen letzen Kuß will ICH ihr geben –  
einen heißen, innigen  
und noch einmal an mich drücken,  
diese unvergleichliche Haut –  
pressen und festhalten!  

Festhalten,  
mit dem Versuch zu erwärmen –  
ihre Haut,  
ihr Fleisch,  
ihre Meinung…  

Und sie tut ihm den Gefallen  
und läßt über sich ergehen  
die Streichelungen mit seinen Händen  
und seinen Mund über ihren ganzen Körper  

Über ihr gesamtes Gesicht,  
über ihren Hals,  
über ihren Busen,  
über ihre Scham  
und ihre langen schlanken Beine…  

Selbst ihre enthaarten Achselhöhlen –  
die ebenso kalt waren,  
wie ihre übrigen Körperzonen  
liebkoste er mit den Lippen  

Wie ein Verzweifelter küsste und leckte und streichelte er über ihre Haut  

Doch da war nichts mehr auszurichten  

Die an ihr anhaftende Kälte mußte von innen her kommen  

Sonst hätte er es zuwege gebracht,  
einen Funken Hitze durch seine Begierde herauszuschlagen  

Er dachte kurz nach,  
was dies für ein Phänomen sein könne  

Keine Frau war imstande  
ihre innere kalte Entschlossenheit zur Trennung  
zum Abschied,  
derart physisch umzusetzen  

Keine andere Frau!  
Nicht so!  

Das war doch nicht möglich!  

Ist sie denn eine Art Vampyrin,  
aus einer Friedhofsgruft entstiegen  
und schon jahrhundertelang von Zeit zu Zeit,  
immer wieder nächtlich unterwegs  
um liebesbedürftige Männer wie ihn zu verführen?  

Um dann, nach einiger Zeit  
einen eiskalten endgültigen Abschied zu zelebrieren?  

Genau wie jetzt?  

Nein, das kann unmöglich sein.  

Ich sah und traf sie doch auch tagsüber!  

Er schaute innerlich noch einmal zurück  
und es fröstelte ihn,  
angesichts der Kälte die ihn umgab –  
bei all den Berührungen!  

Es ist jedoch nicht zu wundern,  
daß das, was sonst zu gewollter Hitze führte  
kalt war und Kälte blieb.  

Nicht mehr zu denken an ein Zerschmelzen heißen Begehrens  
an gesättigter Wollust  

Ihre herrlichen Brüste nicht mehr für ihn  

Nur ohnmächtige Lenden unter eisigem Schoß!

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