Sehen
Der kalte, endgültige Abschied
Hastiger, endgültiger Abschied:
Sie beugte sich herab – wie mit Flügeln –
zu ihm herunter,
der reglos am Boden lag.
Niemals zuvor sah er Lippen aus Eis –
kristallklar,
und kalt der Kuß, den sie ihm gab –
Haut-zerschmelzend.
Bitternis spürt keine Wirklichkeit.
Noch einen letzen Kuß will ICH ihr geben –
einen heißen, innigen
und noch einmal an mich drücken,
diese unvergleichliche Haut –
pressen und festhalten!
Festhalten,
mit dem Versuch zu erwärmen –
ihre Haut,
ihr Fleisch,
ihre Meinung…
Und sie tut ihm den Gefallen
und läßt über sich ergehen
die Streichelungen mit seinen Händen
und seinen Mund über ihren ganzen Körper
Über ihr gesamtes Gesicht,
über ihren Hals,
über ihren Busen,
über ihre Scham
und ihre langen schlanken Beine…
Selbst ihre enthaarten Achselhöhlen –
die ebenso kalt waren,
wie ihre übrigen Körperzonen
liebkoste er mit den Lippen
Wie ein Verzweifelter küsste und leckte und streichelte er über ihre Haut
Doch da war nichts mehr auszurichten
Die an ihr anhaftende Kälte mußte von innen her kommen
Sonst hätte er es zuwege gebracht,
einen Funken Hitze durch seine Begierde herauszuschlagen
Er dachte kurz nach,
was dies für ein Phänomen sein könne
Keine Frau war imstande
ihre innere kalte Entschlossenheit zur Trennung
zum Abschied,
derart physisch umzusetzen
Keine andere Frau!
Nicht so!
Das war doch nicht möglich!
Ist sie denn eine Art Vampyrin,
aus einer Friedhofsgruft entstiegen
und schon jahrhundertelang von Zeit zu Zeit,
immer wieder nächtlich unterwegs
um liebesbedürftige Männer wie ihn zu verführen?
Um dann, nach einiger Zeit
einen eiskalten endgültigen Abschied zu zelebrieren?
Genau wie jetzt?
Nein, das kann unmöglich sein.
Ich sah und traf sie doch auch tagsüber!
Er schaute innerlich noch einmal zurück
und es fröstelte ihn,
angesichts der Kälte die ihn umgab –
bei all den Berührungen!
Es ist jedoch nicht zu wundern,
daß das, was sonst zu gewollter Hitze führte
kalt war und Kälte blieb.
Nicht mehr zu denken an ein Zerschmelzen heißen Begehrens
an gesättigter Wollust
Ihre herrlichen Brüste nicht mehr für ihn
Nur ohnmächtige Lenden unter eisigem Schoß!