Sehen

Die kleine Kunst des ewigen Vielleicht

Peter Muschke

Da sitzen wir wieder,
du und ich,
in diesem Spiel, das wir beide so vortrefflich beherrschen.

Ich werfe ein keckes JA in den Raum,
du konterst mit einem scheinbar festen NEIN,
und schon beginnt das vertraute Karussell der Worte,
das sich seit Jahren dreht
wie ein alter Plattenspieler mit Kratzern im Lack.

Dein NEIN klingt heute besonders entschlossen,
fast schon dramatisch,
als hättest du es extra für die Bühne geübt.

Ich höre es
und denke mir:
Ach, süße kleine Lügnerin, das kenne ich doch.

Das ist dasselbe NEIN,
das gestern noch ein atemloses JA war,
als deine Finger in meinem Haar wühlten
und deine Beine sich öffneten
wie ein Tor, das nie wirklich verschlossen war.

Du behauptest steif und fest,
heute sei alles anders.
Heute meine dein NEIN wirklich NEIN,
kein verstecktes Vielleicht,
kein kokettes Später,
kein laszives Komm-doch-noch-ein-bisschen-näher.

Du sagst es
mit diesem gewissen Lächeln,
das ich so gut kenne –
jenem Lächeln, das schon so manchen Mann in den Wahnsinn getrieben hat,
weil es genau zwischen Ablehnung und Einladung schwebt
wie ein Seidentuch im Wind.

Ein Lächeln, das sagt:
„Versuch’s doch, wenn du dich traust.“

Ein Lächeln, das mich jedes Mal wieder daran erinnert,
warum ich nie wirklich weggegangen bin.

Ich weiß genau, wie das läuft.

Du wirst noch ein bisschen zieren,
noch ein paar Sätze lang die Unnahbare spielen,
die Frau von Welt,
die sich nicht einfach so erobern lässt.

Du wirst vielleicht sogar aufstehen,
theatralisch die Handtasche greifen,
zwei Schritte Richtung Tür machen –
und dann, genau im richtigen Moment,
ganz langsam, ganz bewusst,
wieder umdrehen.

Denn tief drinnen,
da wo die Vernunft schon lange kapituliert hat,
willst du genau das Gegenteil
von dem, was dein Mund gerade behauptet.

Dein NEIN ist nur die Eintrittskarte
für mein nächstes JA,
der Vorwand für die nächste Runde
dieses uralten Tanzes,
bei dem keiner gewinnt
und doch beide siegen.

Ich kenne dich.
Ich kenne dieses Spiel besser als mein eigenes Spiegelbild.

Dein „Heute ist es anders“
ist der älteste Trick im Buch der Verführung –
und gleichzeitig der ehrlichste.

Weil du nämlich recht hast:
Heute ist es wirklich anders.

Heute willst du, dass ich kämpfe.
Heute willst du spüren,
dass ich dich immer noch will,
trotz all der NEINs,
trotz all der Jahre,
trotz all der kleinen und großen Lügen,
die wir uns gegenseitig erzählt haben.

Heute willst du,
dass ich über die Klinge springe,
die du mir so geschickt hinhältst,
und dir zeige,
dass dein NEIN für mich
nie mehr war als ein besonders raffiniertes JA in Verkleidung.

Und genau das werde ich tun.

Ich werde lächeln, genauso wie du.
Ich werde aufstehen,
dir langsam entgegengehen,
dir tief in die Augen sehen
und ganz leise, ganz nah an deinem Ohr flüstern:

„Dann zeig mir mal,
wie fest dein NEIN heute wirklich ist.“

Und wir beide wissen schon jetzt,
wie das enden wird.

Nicht mit einem Knall,
nicht mit einem großen Drama –
sondern mit einem Seufzer,
der klingt wie ein lang ersehntes JA,
das endlich, endlich ausgesprochen wird.

Denn auf Messers Schneide tanzen wir am besten.

Und dein Lächeln von gestern
ist immer noch dasselbe wie heute –
nur ein kleines bisschen hungriger.

Zugriffe gesamt: 3